KULTUR
Von Radek Krolczyk | DIE WELT © Axel Springer SE. Alle Rechte vorbehalten.
Nachdem Peter Bürger im vergangenen Jahr verstorben war, übergab seine Witwe der Bremer Kunsthalle einen Großteil der gemeinsamen Erwerbungen als Vorlass. Die Bürgers kauften hauptsächlich Arbeiten auf Papier, also Druckgrafiken und Zeichnungen. Darunter sind Blätter berühmter Künstler wie Joseph Beuys, Horst Janssen und Emil Schumacher, deutsche Nachkriegskunst zwischen Figürlichkeit und Abstraktion. Das Museum feiert die Schenkung mit einer kleinen, dichten Ausstellung (bis zum 10. Februar) in einem der mit dunklem Holz ausgekleideten Räume des Kupferstichkabinetts. Auffällig ist die Abwesenheit von Farbigkeit: Sämtliche Werke sind in Naturfarben gehalten. Im Mittelpunkt steht stets der Mensch in seiner Entwicklung, existenziellen Konflikten und Leid. Auf einer Radierung von Beuys ist zwar ein Hirschbein zu sehen, es ist aber kein objektifizierbarer Gegenstand. Vielmehr lädt es dazu ein, sich in ihm als Mensch wiederzuerkennen.
Nicht zu finden sind informelle Malerei, Op-Art oder minimalistische Grafik. Die Abkehr und Loslösung der Kunst von der gegenständlichen Welt galt den Bürgers als Ästhetizismus, den sie voller Überzeugung ablehnten. Genauso fehlt allerdings auch aller Realismus, der die Welt, so wie sie ist, bloß verdoppeln würde. Die Skepsis gegenüber gegenständlicher Kunst, so Christa Bürger, habe mit der Repräsentationskunst des Faschismus zu tun, das Freiheitsversprechen des amerikanischen, abstrakten Expressionismus aber sei immer schon leer gewesen.
Die Bremer Kunsthalle ist eine recht naheliegende Wahl. Schließlich haben die Bürgers seit den frühen Siebzigerjahren in Bremen gelebt. Er, 1936 geboren, war seit 1971 Professor für Literaturwissenschaft an der dort neugegründeten Universität. Sie, ein Jahr älter als er, war seit 1973 als Professorin am Institut für deutsche Sprache und Literatur in Frankfurt am Main tätig. „Am Alten Gymnasium in Bremen sollte ich als Oberstudienrätin acht Stunden die Woche Grundlagenunterricht Französisch geben, weil ich da politisch nichts anrichten konnte. Bremen war überhaupt nicht so liberal, wie man heute erzählt. Ich bin dann lieber gependelt“, erzählt sie.
Es gibt aber noch einen zweiten Grund, der für die Bremer Kunsthalle spricht. Denn Christa und Peter Bürger pflegten Freundschaften mit Künstlern, die in Bremen oder dem nahe gelegenen Worpswede lebten. Von ihnen kauften sie regelmäßig Bilder, meistens Arbeiten auf Papier, Zeichnungen und Drucke. Der Maler Norbert Schwontkowski ist einer von ihnen. Bei ihm finden Christa und Peter Bürger eine Malerei, die existenziell ist, die die Welt da draußen weder negiert noch wiederholt. Christa Bürger beschrieb 2004 in einem Katalogtext die Situation einer gemeinsamen Bildbetrachtung: „Fast beiläufig sagt Schwontkowski. Als wir über eine seiner großen Seelandschaften sprechen: ein paar schmutzig-graue Schneepfützen, über die die Schatten von Baumkronen fallen, nur dass die Bäume auf dem Bild diese Schatten nicht werfen können, er sagt, dass er sich dem Surrealismus sehr nahe fühlt.“
In der Ausstellung hängt von Schwontkowski ein Ölbild mit dem Titel „Wir in dieser Drecksbrühe“ aus dem Jahr 1997. Auf einer schlammigen, ockerbraunen Fläche sieht man eine Gruppe weißer Schwäne. Sie strecken die langen Hälse, richten die stumpfen Schnäbel in die Höhe. Man kann gar nicht sagen – tun sie es aus Ekel oder aus Vergnügen. Denn auch in einer verkommenen Umgebung lässt sich glücklich leben. Vergessen wir die Moral. Die schönsten Freuden sind schließlich schmutzig. Sie trösten die Menschen über ihr Elend hinweg. „Wir in dieser Drecksbrühe“ erscheint als gesellschaftliche Metapher. Die schönen, weißen Vögel sind zu einem Leben in einer „Drecksbrühe“ verdammt. Vielleicht wäre es zu leicht, auf die kleinen weißen Wölkchen hinzuweisen, die der Bremer Maler in die obere linke Ecke gesetzt hat. Vielleicht aber ist das, was naheliegt, nicht unbedingt immer einfältig und falsch. In Schwontkowskis Bildern jedenfalls liegen Verdammung und Trost oftmals nah beieinander.
Für Christa Bürger und ihren Mann hatten Bilder dieselbe Funktion wie Bücher,
Gebrauchsgegenstände, begabt mit der Fähigkeit, Erkenntnis zu vermitteln. In dem Berliner Haus, das sie nach ihrer Emeritierung Ende der 90er-Jahre bezogen, wechseln sich an den Wänden Bücherregale und Bilder ab, erzählt sie. „Zentral für meinen Mann und mich war die Frage des Brauchens. Wir fragten uns bei den Werken, die wir in den Ateliers und Galerien erwarben, ob sie uns bei dabei helfen können, den Zusammenhang dieser Welt zu begreifen.“ Insofern wird Kunst eben auch zu einer Art Gebrauchsgegenstand. Sie verweist dabei auf die Anfangsszene von Peter Weiss berühmtem Roman „Ästhetik des Widerstands“, in der drei Proletarier im Berlin der 30er-Jahre vor dem Pergamonaltar stehen und versuchen, in der dort dargestellten Schlacht zwischen den Göttern und den ihnen untergebenen Giganten etwas von der eigenen Situation zu erfahren
In Christa Bürgers Frankfurter Dienstwohnung hing ein auf Papier gemaltes Bild von Norbert Schwontkowski. Auf hellem, ockerfarbenen Untergrund hatte er die leichte Zeichnung eines Gesichtes im Profil gegenüber einer Glühbirne, die an einem Kabel baumelt, gesetzt. Für Christa Bürger offenbarte sich im Zusammenleben mit diesem Werk sein Gebrauchscharakter. Der Mensch sei hier in einer sehr reduzierten Gestalt ständig mit diesem nackten Gegenstand konfrontiert, der ihm schließlich das Licht der Erkenntnis bringe. Tatsächlich hat der Maler das Wort „reception“ unter die Zeichnung geschrieben, und noch „40 Watt“. Ein Jahr vor seinem frühen Tod 2013 hatte er auf der Dachterrasse seines Atelierhauses von den Besuchen bei den Freunden Christa und Peter Bürger in deren Berliner Haus erzählt, wie sie bei einer 40-Watt-Glühbirne am Küchentisch Theodor Adornos ästhetische Theorie rezipierten. Das Bild gefällt ihr, „aber wir haben niemals in der Küche gearbeitet“.
Der Autor ist Inhaber der Galerie K’ in Bremen
Von Radek Krolczyk | DIE WELT © Axel Springer SE. Alle Rechte vorbehalten.
Es kommt vor, dass eine private Kunstsammlung, die über Jahrzehnte in einem Wohnhaus gewachsen ist, irgendwann im öffentlichen Museum landet. Natürlich verraten künstlerische Vorlieben einiges über einen Menschen. Selten jedoch wird eine Intensität erreicht, wie bei der Sammlung des Literaturwissenschaftlerpaares Christa und Peter Bürger. Das liegt an der Profession der beiden, an ihrem Ruf und ihrer Haltung. Denn in den Auseinandersetzungen um Politik und Ästhetik der Siebziger- und Achtzigerjahre spielten sie eine zentrale Rolle.Vor allem Peter Bürger avancierte nach dem Erscheinen seines Bandes „Theorie der Avantgarde“ zu einem Star. Er behauptete, Dada und Surrealismus seien ein Bruch in der Kunstgeschichte gewesen, ein selbstreflexiver Moment der Kunst, keine Kunst mehr im herkömmlichen Sinne. Sie seien weder sakral, noch eigneten sie sich zu Zwecken der Repräsentation. Er forderte eine Kunst, die für eine radikale Erneuerung der Gesellschaft brauchbar wäre, die beim kritischen Denken helfe und sich mit dem Leben verbände. Was für Werke mögen diese Leute wohl gekauft haben? Und auf welche Weise spiegelt sich die Theorie in der Kunst?
Nachdem Peter Bürger im vergangenen Jahr verstorben war, übergab seine Witwe der Bremer Kunsthalle einen Großteil der gemeinsamen Erwerbungen als Vorlass. Die Bürgers kauften hauptsächlich Arbeiten auf Papier, also Druckgrafiken und Zeichnungen. Darunter sind Blätter berühmter Künstler wie Joseph Beuys, Horst Janssen und Emil Schumacher, deutsche Nachkriegskunst zwischen Figürlichkeit und Abstraktion. Das Museum feiert die Schenkung mit einer kleinen, dichten Ausstellung (bis zum 10. Februar) in einem der mit dunklem Holz ausgekleideten Räume des Kupferstichkabinetts. Auffällig ist die Abwesenheit von Farbigkeit: Sämtliche Werke sind in Naturfarben gehalten. Im Mittelpunkt steht stets der Mensch in seiner Entwicklung, existenziellen Konflikten und Leid. Auf einer Radierung von Beuys ist zwar ein Hirschbein zu sehen, es ist aber kein objektifizierbarer Gegenstand. Vielmehr lädt es dazu ein, sich in ihm als Mensch wiederzuerkennen.
Nicht zu finden sind informelle Malerei, Op-Art oder minimalistische Grafik. Die Abkehr und Loslösung der Kunst von der gegenständlichen Welt galt den Bürgers als Ästhetizismus, den sie voller Überzeugung ablehnten. Genauso fehlt allerdings auch aller Realismus, der die Welt, so wie sie ist, bloß verdoppeln würde. Die Skepsis gegenüber gegenständlicher Kunst, so Christa Bürger, habe mit der Repräsentationskunst des Faschismus zu tun, das Freiheitsversprechen des amerikanischen, abstrakten Expressionismus aber sei immer schon leer gewesen.
Die Bremer Kunsthalle ist eine recht naheliegende Wahl. Schließlich haben die Bürgers seit den frühen Siebzigerjahren in Bremen gelebt. Er, 1936 geboren, war seit 1971 Professor für Literaturwissenschaft an der dort neugegründeten Universität. Sie, ein Jahr älter als er, war seit 1973 als Professorin am Institut für deutsche Sprache und Literatur in Frankfurt am Main tätig. „Am Alten Gymnasium in Bremen sollte ich als Oberstudienrätin acht Stunden die Woche Grundlagenunterricht Französisch geben, weil ich da politisch nichts anrichten konnte. Bremen war überhaupt nicht so liberal, wie man heute erzählt. Ich bin dann lieber gependelt“, erzählt sie.
Es gibt aber noch einen zweiten Grund, der für die Bremer Kunsthalle spricht. Denn Christa und Peter Bürger pflegten Freundschaften mit Künstlern, die in Bremen oder dem nahe gelegenen Worpswede lebten. Von ihnen kauften sie regelmäßig Bilder, meistens Arbeiten auf Papier, Zeichnungen und Drucke. Der Maler Norbert Schwontkowski ist einer von ihnen. Bei ihm finden Christa und Peter Bürger eine Malerei, die existenziell ist, die die Welt da draußen weder negiert noch wiederholt. Christa Bürger beschrieb 2004 in einem Katalogtext die Situation einer gemeinsamen Bildbetrachtung: „Fast beiläufig sagt Schwontkowski. Als wir über eine seiner großen Seelandschaften sprechen: ein paar schmutzig-graue Schneepfützen, über die die Schatten von Baumkronen fallen, nur dass die Bäume auf dem Bild diese Schatten nicht werfen können, er sagt, dass er sich dem Surrealismus sehr nahe fühlt.“
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"Wir in dieser Drecksbrühe", Norbert Schwontkowski, 1997, Kunsthalle Bremen - Sammlung Christa und Peter Bürger |
In der Ausstellung hängt von Schwontkowski ein Ölbild mit dem Titel „Wir in dieser Drecksbrühe“ aus dem Jahr 1997. Auf einer schlammigen, ockerbraunen Fläche sieht man eine Gruppe weißer Schwäne. Sie strecken die langen Hälse, richten die stumpfen Schnäbel in die Höhe. Man kann gar nicht sagen – tun sie es aus Ekel oder aus Vergnügen. Denn auch in einer verkommenen Umgebung lässt sich glücklich leben. Vergessen wir die Moral. Die schönsten Freuden sind schließlich schmutzig. Sie trösten die Menschen über ihr Elend hinweg. „Wir in dieser Drecksbrühe“ erscheint als gesellschaftliche Metapher. Die schönen, weißen Vögel sind zu einem Leben in einer „Drecksbrühe“ verdammt. Vielleicht wäre es zu leicht, auf die kleinen weißen Wölkchen hinzuweisen, die der Bremer Maler in die obere linke Ecke gesetzt hat. Vielleicht aber ist das, was naheliegt, nicht unbedingt immer einfältig und falsch. In Schwontkowskis Bildern jedenfalls liegen Verdammung und Trost oftmals nah beieinander.
Für Christa Bürger und ihren Mann hatten Bilder dieselbe Funktion wie Bücher,
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Kopf 1987, Klaus Kröger, Kunsthalle Bremen - Sammlung Christa und Peter Bürger |
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Norbert Schwontkowski: Das Treffen, 1992, Kunsthalle Bremen - Sammlung Christa und Peter Bürger |
Der Autor ist Inhaber der Galerie K’ in Bremen
ja - hier wird "kunst" mal echt liebevoll und zärtlich rezipiert - in seinen noch-gegenständlichen aber oft wundersamen kompositionen: die bürgers hatten ja für sich erkannt: "dada und surrealismus sind ein bruch in der kunstgeschichte gewesen, ein selbstreflexiver moment der kunst, keine kunst mehr im herkömmlichen sinne." es werden jetzt symbolhaft innere gefühlsregungen und traumsequenzen mit hilfe von mehrdeutigen "zeichen" dargestellt: ein bild sagt eben mehr als 1000 worte - und ein bild gestattet auch einen röntgenblick ins innerste der seele - aber nur insoweit, wie die symbole eigenen inneren seelen-signaturen entsprechen.
diese kunst "verkündet" nicht mehr und stellt sich nicht mehr selbst in der "ab-bildung" dar. und die tiefenpsychologie benutzt den zeichenblock als diagnose-bestimmung: wie oben so unten - wie innen so außen, was ja auch schon uralte glaubenssätze und prinzipien waren, die auch schon vom ollen paracelsus bei seinen heilungsversuchen bedacht wurden - und nach denen er behandlungen und therapien und medikationen ausrichtete ...
"zeig du mir, was du malst - und ich sag dir, wer du bist" - die "kunst" wurde geradezu "selbstreferentiell", wie die systemiker das nennen würden: selbstbezügliche systeme stabilisieren sich auf sich selbst und schließen sich darin von ihrer umwelt ab. dadurch gewinnen sie beständigkeit und ermöglichen systembildung und identität. selbstreferenzielle "kunst" also ist „operational in sich geschlossen“; in ihren prozessen bezieht sie sich nur auf sich selbst und greift nicht in ihre umwelt hinaus. sie reagiert nur noch auf veränderungen in ihrem eigenen system - will sagen: die darstellung genügt sich selbst und benötigt kaum noch den beifall des betrachters von außen - dafür ist sie auch nicht gestaltet - sondern das kunstwerk ist vielleicht vergleichbar mit der heutigen "bloggerei": der künstler "bloggt" seine empfindungen je nach innerer befindlichkeit wie in einem logbuch mit einer tagesaktuellen "notiz" nach außen - und kreiert dafür seine ureigene symbol-sprache: wenn die vom betrachter bzw. "leser" dann entschlüsselt wird ist das okay - aber wenn nicht - kann man auch nichts machen ...