DIE STEILE THESE
Journalisten neiden
Greta Thunberg
die Wirkmächtigkeit
VON WALTRAUD SCHWAB | taz am Wochenende
Der Mann ist Redakteur eines Leitmediums der deutschen Presse. Er ist so wichtig, dass er, wenn seine Zeit es überhaupt zulässt, nur noch die Weltlage kommentiert. Darin ist er Meister, denn er weiß alles, durchschaut alles, hat die Welt bereist, mit Mächtigen diniert. Ein Meinungsmogul ist er, dessen Gabe, die Welt zu erklären, etwas Messianisches hat.
Dieser Halbgott des Wortes also hat auf sein Schild eine Botschaft geschrieben, die sinngemäß heißt: Solange die Bundesregierung nichts tut, um den Klimawandel zu stoppen, werde er freitags streiken, nicht mehr kommentieren und so den PolitikerInnen und Wirtschafts-VIPs nicht mehr zu Diensten sein.
Schon am Freitag darauf sitzen ein halbes Dutzend Kommentarschreiber vor dem Bundeskanzleramt. Denn was unser Mann eine Woche zuvor gewagt hatte, ging wie ein Ruck durch die Redaktionsstuben: Sie kapieren plötzlich, dass sie mit ihren Meinungen die Welt nicht verändern, im Gegenteil, dass die fünfte Gewalt, sie also, zum Steigbügelhalter des Nichtstuns verkommen ist. Ganz vorn in der Reihe sitzen die Herren von FAZ, Capital, Wirtschaftswoche und aus dem Hause Springer.
Und noch einen Freitag später sitzen alle Leitartikler der Bundesrepublik in ihren Anzügen vor dem Kanzleramt, denn die meisten haben zu Hause am Küchentisch Teenager (spät Vater geworden?) oder Enkel sitzen, die sie fragen: „Was habt ihr gegen den Klimawandel getan?“ Wenn die Leitartikler dann „Horch mal“ und „Wie sprichst du mit mir“ oder „Ihr versteht das nicht, die Arbeitsplätze, die Rendite, die Wirtschaft“ sagten, zeitigte das keine Wirkung.
Nun aber, jetzt applaudieren die jungen Leute und setzen sich dazu.
Aber ach, Quatsch, zum Lachen das alles, ein Witz. In Wirklichkeit ist es andersherum.
Nur die erste Woche sitzt der Teenager namens Greta Thunberg allein da. Und ein Jahr später bestreiken Kinder und Jugendliche auf der ganzen Welt an Freitagen die Schule. Fridays for Future, FFF – der Slogan ist griffig und gut.
Was aber machen die Leitartikler? Sie applaudieren den jungen Leuten nicht, sie entwickeln Meinungen dazu, die sie breitflächig, gönnerhaft, belehrend und altväterlich in ihren Medien verbreiten.
Erst räsonierten sie darüber, ob Schüler und Schülerinnen überhaupt die Schule bestreiken dürfen. – Ja was denn sonst? Der Protest der Jugendlichen wäre ohne Schulstreik, ohne zivilen Ungehorsam nicht in ihren klimatisierten Redaktionsbüros angekommen und so breit in den Medien aufgegriffen worden, wenn sie es nicht täten.
Als dieser Diskussionsstrang versiegte, wurde Greta Thunberg in den Fokus gerückt. Da war doch was. Sie ist Autistin, krank also. Zwar bekommt sie dafür den Behindertenbonus, sie wird aber auch pathologisiert und auf diese Weise nicht ernst genommen mit ihrem Anliegen.
Nachdem dies indes nicht genug Wirkung zeitigte, verstiegen sich die Kommentatoren aufs Vergleichen. Von einem Kinderkreuzzug war die Rede, bei dem sich die Kinder am Ende ins Unglück stürzten, von Kassandra, von Oskar Matzerath, von Jeanne d’Arc.
(Positiv verglichen wurde Thunberg nur mit Matzerath, der auch nicht wachsen wollte aus Protest gegen die Dummheit der Erwachsenen um ihn herum. Aber die das schrieb, war nur eine Feuilletonistin.)
Okay, Vergleiche konnten die FFF-Bewegung auch nicht stoppen. Da verstiegen sich die Leitartikler aufs Belehren. Greta Thunberg, die am Mittwoch mit ihrem Segelboot in New York angekommen ist, verstehe nicht, was Demokratie bedeute. Es bedeute, dass man Widersprüche aushalten müsse – und das könne Thunberg (qua Diagnose) nicht. Und außerdem orakelten die Journalisten, irgendwann werde sich alles verlaufen. Aber die FFF-Bewegung ließ sich auch damit nicht aufhalten.
Selbst im mörderischen Kabul gehen Jugendliche für Klimaschutz auf die Straße. Da griffen die Leitartikler zu einer spitzeren Waffe: der der Diffamierung. Greta Thunberg sei, argumentierten sie, nur der Spielball der Investment- und PR-Akteure im Hintergrund. (Die AfD, die den Klimawandel sowieso für einen PR-Gag hält zum Zweck, neue Steuern zu generieren, bedankt sich für diese Vorlage recht herzlich.)
Neuester Hashtag der Oberlehrer, die gern vom hohen Ross herab argumentieren (und die taz war da mit dabei): Greta Thunbergs Atlantiküberquerung ist gar nicht klimaneutral. Soll heißen: Das Mädchen täuscht. Wer aber täuscht, vor dem wird gewarnt: Der Subtext ist also: Bloß nicht auf sie hereinfallen.
The Wall
We don ’t need no education
We don’t need no thought control
No dark sarcasm in the classroom
Teachers leave them kids alone
Hey! Teachers! Leave them kids alone
All in all it ’s just another brick in the wall
All in all you ’re just another brick in the wall
Schon 1992 bei der Umwelt- und Klimakonferenz in Rio de Janeiro sprach ein Kind, die 13-jährige Severn Suzuki, von der Kinder-Umweltorganisation Eco. Sie bat die Delegierten, alles zu tun, damit der Planet nicht vor die Hunde geht. Und sie erzählte, dass ihr Vater immer zu ihr sagte: Du bist, was du tust, nicht was du sagst.
27 Jahre sind seither vergangen, und Politiker und Journalisten haben geredet (oder geschrieben, was aufs Gleiche hinauskommt). Greta Thunberg und all die Kinder in der ganzen Welt aber zeigen, dass endlich gehandelt werden muss, dass sofort gehandelt werden muss, dass genug geredet wurde und dass wirkmächtig ist, wer zivilen Ungehorsam übt, indem er die Schule bestreikt, den Hambacher Forst und Braunkohlebagger besetzt – zum Beispiel.
Nicht nur hat Thunberg indes den Klimawandel zum Topthema gemacht, sie hat auch dem Wort „Globalisierung“ eine neue Bedeutung gegeben, jenseits von freien Märkten. Sie hat eine echte, den Globus umspannende Bewegung ausgelöst – und es sind Kinder und Jugendliche, die sie tragen.
Die Kommentare der Welterklärer aber plätschern dahin. Viele der Schreiber kreisen nur noch um sich selbst. Das wäre nicht so schlimm, wenn sie es nicht merken würden. Die Fridays-for-Future-Bewegung zeigt ihnen jedoch, dass sie den Anschluss verpasst haben. Schwer vorstellbar, dass es eine schlimmere narzisstische Kränkung für die gibt, die meinen, das Sagen zu haben.
Bleibt zu hoffen, dass Greta Thunberg nicht Ähnliches wie ihr passiert.
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Journalisten neiden
Greta Thunberg
die Wirkmächtigkeit
VON WALTRAUD SCHWAB | taz am Wochenende
- Szenario 1
Der Mann ist Redakteur eines Leitmediums der deutschen Presse. Er ist so wichtig, dass er, wenn seine Zeit es überhaupt zulässt, nur noch die Weltlage kommentiert. Darin ist er Meister, denn er weiß alles, durchschaut alles, hat die Welt bereist, mit Mächtigen diniert. Ein Meinungsmogul ist er, dessen Gabe, die Welt zu erklären, etwas Messianisches hat.
Dieser Halbgott des Wortes also hat auf sein Schild eine Botschaft geschrieben, die sinngemäß heißt: Solange die Bundesregierung nichts tut, um den Klimawandel zu stoppen, werde er freitags streiken, nicht mehr kommentieren und so den PolitikerInnen und Wirtschafts-VIPs nicht mehr zu Diensten sein.
Schon am Freitag darauf sitzen ein halbes Dutzend Kommentarschreiber vor dem Bundeskanzleramt. Denn was unser Mann eine Woche zuvor gewagt hatte, ging wie ein Ruck durch die Redaktionsstuben: Sie kapieren plötzlich, dass sie mit ihren Meinungen die Welt nicht verändern, im Gegenteil, dass die fünfte Gewalt, sie also, zum Steigbügelhalter des Nichtstuns verkommen ist. Ganz vorn in der Reihe sitzen die Herren von FAZ, Capital, Wirtschaftswoche und aus dem Hause Springer.
Und noch einen Freitag später sitzen alle Leitartikler der Bundesrepublik in ihren Anzügen vor dem Kanzleramt, denn die meisten haben zu Hause am Küchentisch Teenager (spät Vater geworden?) oder Enkel sitzen, die sie fragen: „Was habt ihr gegen den Klimawandel getan?“ Wenn die Leitartikler dann „Horch mal“ und „Wie sprichst du mit mir“ oder „Ihr versteht das nicht, die Arbeitsplätze, die Rendite, die Wirtschaft“ sagten, zeitigte das keine Wirkung.
Nun aber, jetzt applaudieren die jungen Leute und setzen sich dazu.
Aber ach, Quatsch, zum Lachen das alles, ein Witz. In Wirklichkeit ist es andersherum.
- Szenario 2
Nur die erste Woche sitzt der Teenager namens Greta Thunberg allein da. Und ein Jahr später bestreiken Kinder und Jugendliche auf der ganzen Welt an Freitagen die Schule. Fridays for Future, FFF – der Slogan ist griffig und gut.
Was aber machen die Leitartikler? Sie applaudieren den jungen Leuten nicht, sie entwickeln Meinungen dazu, die sie breitflächig, gönnerhaft, belehrend und altväterlich in ihren Medien verbreiten.
Erst räsonierten sie darüber, ob Schüler und Schülerinnen überhaupt die Schule bestreiken dürfen. – Ja was denn sonst? Der Protest der Jugendlichen wäre ohne Schulstreik, ohne zivilen Ungehorsam nicht in ihren klimatisierten Redaktionsbüros angekommen und so breit in den Medien aufgegriffen worden, wenn sie es nicht täten.
Als dieser Diskussionsstrang versiegte, wurde Greta Thunberg in den Fokus gerückt. Da war doch was. Sie ist Autistin, krank also. Zwar bekommt sie dafür den Behindertenbonus, sie wird aber auch pathologisiert und auf diese Weise nicht ernst genommen mit ihrem Anliegen.
Nachdem dies indes nicht genug Wirkung zeitigte, verstiegen sich die Kommentatoren aufs Vergleichen. Von einem Kinderkreuzzug war die Rede, bei dem sich die Kinder am Ende ins Unglück stürzten, von Kassandra, von Oskar Matzerath, von Jeanne d’Arc.
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(deutschlandfunk kultur/imago/EntertainmentPictures) |
(Positiv verglichen wurde Thunberg nur mit Matzerath, der auch nicht wachsen wollte aus Protest gegen die Dummheit der Erwachsenen um ihn herum. Aber die das schrieb, war nur eine Feuilletonistin.)
Okay, Vergleiche konnten die FFF-Bewegung auch nicht stoppen. Da verstiegen sich die Leitartikler aufs Belehren. Greta Thunberg, die am Mittwoch mit ihrem Segelboot in New York angekommen ist, verstehe nicht, was Demokratie bedeute. Es bedeute, dass man Widersprüche aushalten müsse – und das könne Thunberg (qua Diagnose) nicht. Und außerdem orakelten die Journalisten, irgendwann werde sich alles verlaufen. Aber die FFF-Bewegung ließ sich auch damit nicht aufhalten.
Selbst im mörderischen Kabul gehen Jugendliche für Klimaschutz auf die Straße. Da griffen die Leitartikler zu einer spitzeren Waffe: der der Diffamierung. Greta Thunberg sei, argumentierten sie, nur der Spielball der Investment- und PR-Akteure im Hintergrund. (Die AfD, die den Klimawandel sowieso für einen PR-Gag hält zum Zweck, neue Steuern zu generieren, bedankt sich für diese Vorlage recht herzlich.)
Neuester Hashtag der Oberlehrer, die gern vom hohen Ross herab argumentieren (und die taz war da mit dabei): Greta Thunbergs Atlantiküberquerung ist gar nicht klimaneutral. Soll heißen: Das Mädchen täuscht. Wer aber täuscht, vor dem wird gewarnt: Der Subtext ist also: Bloß nicht auf sie hereinfallen.
The Wall
We don ’t need no education
We don’t need no thought control
No dark sarcasm in the classroom
Teachers leave them kids alone
Hey! Teachers! Leave them kids alone
All in all it ’s just another brick in the wall
All in all you ’re just another brick in the wall
- Nachdenken
Schon 1992 bei der Umwelt- und Klimakonferenz in Rio de Janeiro sprach ein Kind, die 13-jährige Severn Suzuki, von der Kinder-Umweltorganisation Eco. Sie bat die Delegierten, alles zu tun, damit der Planet nicht vor die Hunde geht. Und sie erzählte, dass ihr Vater immer zu ihr sagte: Du bist, was du tust, nicht was du sagst.
27 Jahre sind seither vergangen, und Politiker und Journalisten haben geredet (oder geschrieben, was aufs Gleiche hinauskommt). Greta Thunberg und all die Kinder in der ganzen Welt aber zeigen, dass endlich gehandelt werden muss, dass sofort gehandelt werden muss, dass genug geredet wurde und dass wirkmächtig ist, wer zivilen Ungehorsam übt, indem er die Schule bestreikt, den Hambacher Forst und Braunkohlebagger besetzt – zum Beispiel.
Nicht nur hat Thunberg indes den Klimawandel zum Topthema gemacht, sie hat auch dem Wort „Globalisierung“ eine neue Bedeutung gegeben, jenseits von freien Märkten. Sie hat eine echte, den Globus umspannende Bewegung ausgelöst – und es sind Kinder und Jugendliche, die sie tragen.
Die Kommentare der Welterklärer aber plätschern dahin. Viele der Schreiber kreisen nur noch um sich selbst. Das wäre nicht so schlimm, wenn sie es nicht merken würden. Die Fridays-for-Future-Bewegung zeigt ihnen jedoch, dass sie den Anschluss verpasst haben. Schwer vorstellbar, dass es eine schlimmere narzisstische Kränkung für die gibt, die meinen, das Sagen zu haben.
- Übrigens
Bleibt zu hoffen, dass Greta Thunberg nicht Ähnliches wie ihr passiert.
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getty images | DIE WELT |
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ich glaube nicht, dass es frau thunberg oder ihren eltern bewusst war, als alles vor einem guten jahr mit einem pappschild um den hals begann, was damit für ein hype ausgelöst wurde.
und man kann gut die gesellschaftlichen bzw. auch die von den medien gesteuerten reflexe auf einen solchen hype studieren: das ganze ist für soziologen sicherlich ein lehrstück in "real life" und wurde hier in dieser taz-reflexion von waltraud schwab geradezu schulbuchmäßig in eine "steile these" eingekleidet, aber ich finde das gar nicht so "steil" oder so "schräg".
es geht ja so oder so ähnlich mit vielen "heroes", die urplötzlich wie aus dem nichts auf der bildfläche der allgemeinen aufmerksamkeit erschienen:
- phase 1: aufmerken, aufrichtigkeit prüfen, was will der/die... - bringt das was? - lässt sich das vielleicht vermarkten?
- phase 2: beifall spenden, sich mitreißen lassen
- phase 3: der beifall schlägt bei manchen - gerade "intellektuellen" - in neid um: was hat die, was ich nicht hab...
- phase 4: dagegen anschreiben - "entlarven" -
- phase 5: abhaken und kaputtschreiben - damit alles beim alten bleibt - und auf den nächsten mutigen helden warten - (bzw. auf die nächste sau, die durch's globale dorf getrieben wird)
das kommt sicherlich mit daher, dass die medien gewinnbringend ihre meldungen und nachrichten veräußern und absetzen müssen - also mit den meldungen "zocken" müssen und mehr oder weniger büttel der werbe-industrie, der wirtschaft, sind, die zumeist in den themen, die da verhandelt werden, gerade auf dauer andere gewinnbringendere interessen favorisieren als diese jeweiligen "heroes" mit ihren "steilen thesen", die alles-besser-machen wollen...
die wirtschaft und diese algorithmen-programmierten und -gesteuerten "märkte" benötigen für ihre aktien- und währungsgeschäfts-programme meist friedhofs-ruhe an der front, damit sich die dinge zu ihren gunsten entwickeln können - ad-hoc-dissidenten oder revolutionäre oder schul-bestreikerinnen oder wald-besetzer und und und schaden da doch nur dem augenblicklichen tagesgeschäft und wollen das, womit das geld verdient wird, eventuell gar kritisieren und kleinreden - und was juckt den neokapitalisten dieses erdenrund und seine bewohner von morgen oder übermorgen: jetzt und hier spielt doch die musik ...