JONATHAN MEESE
Ein Sehnsuchtstyp
Jonathan Meese ist wieder da. Warum wir ihn heute mehr denn je brauchen. Eine Würdigung.
Von Boris Pofalla | welt.edition
Alles, was diese Zivilisation produziert, wird früher oder später Abfall: Die Werkschau des Jonathan Meese passt in einen einzigen Raum - Copyright: © Jonathan Meese /VG Bild-Kunst, Bonn 2018/ Jörg Koopmann
Man hatte sich das anders vorgestellt. Eine Werkschau für den von der Kritik traditionell als mythenseligen Provokateur verstandenen Jonathan Meese müsste dunkler und höhlenhafter sein. Wirrer auch. Aber dann steht man in der etwas aseptischen Pinakothek der Moderne in einem seltsam körperlos gewordenen Saal, in den pudriges weißes Licht fällt und dessen Decke wiederum in lauter Quadrate unterteilt ist. Diese Decke sieht aus wie der transluzente Boden des Raums in der letzten Szene von „2001 – Odyssee im Weltraum” von Stanley Kubrick. Das ist schlüssig, denkt man, denn diese Retrospektive heißt ja ebenfalls nach Homers Odyssee.
„Die Irrfahrten des Meese“ kommt mit einem einzigen Saal aus, aber der hat es in sich. Die in zarten bis leuchtenden Farben glühenden Gemälde an den Wänden, die Vitrinen mit den Zeichnungen und die kleinen Plastiken und Assemblagen auf den schmalbeinigen Tischen: All das schwebt in diesem körperlosen Weiß. Man ist hier wie in Watte gepackt. Auch weil der Boden mit Teppich ausgelegt wurde, der selbst wiederum ein Bild von Jonathan Meese ist: ein roter Fleck, aus dem lang gezogene Farbspritzer wie Tentakel in die Weite des Raumes ausgreifen. In der Mitte steht „Zielsetzung Kunst“, von dort streben schwarze Pfeile nach außen, neben denen für Meese wichtige Figuren und Begriffe aufgeführt sind: Conan. Nero. Mumin. Camelot. Zardoz. Caligula. Liebe. Es ist ein Schaubild, es erklärt uns die Welt. Meeses Welt.
Geboren 1970 in Tokio, als Kind umgetopft nach Ahrensburg, studierte der Sohn einer Deutschen und eines Walisers bei Franz Erhard Walther in Hamburg. Ab Ende der 90er-Jahre wurde er mit ausufernden Installationen und aufsehenerregenden Performances bekannt. Seine mit kindlicher Fröhlichkeit betriebene Vermengung von germanischen Sagengestalten, militärischen Symbolen und Popkultur wurde international ausgestellt. Eine Inszenierung des Rings in Bayreuth scheiterte an den Wagners, dafür hat Meese mit seiner Inszenierung des „Mondparsifal“ in Berlin und Wien brilliert. Vor Kurzem ist bei Walter König seine Biografie erschienen. Meese ist berühmt, eine Retrospektive war überfällig. Jetzt ist sie da, präzise kuratiert von Swantje Grundler und Bernhart Schwenk.
Aber muss eine Retrospektive nicht trotzdem viel größer ausfallen? Bemisst sich der Ruhm und die Bedeutung eines Künstlers nicht nach Quadratmetern, die ihm oder ihr in einem wichtigen Kunsthaus freigeräumt werden? Doch, sicher, und deshalb wandert man ja auch so oft durch Museumswüsten, in denen super wichtige Oeuvres ausgebreitet werden wie Argumente in einem niemals endenden Kommunepalaver. Der Geist des Archivs weht derart scharf durch unsere Zeit, dass man den nicht vorhandenen Hut festhalten muss. Dass künstlerische Bedeutung heute vor allem in Mimesis und Addition gesucht werden, beweist der Boom der immer weiter ausufernden Biennalen und Documenta. Noch ein Raum, noch ein aufgelassenes Haus, noch eine Stadt, noch eine Facette der Realität, immer mehr, mehr, mehr. Man will die Wirklichkeit einfangen, die harte unbekannte Welt da draußen, in der es Kriege gibt und Hass und Hunger. Es muss immer mindestens um alles gehen, und zwar gleichzeitig und mit einer ernsten Miene. So viele Podiumsdiskussionen, so viele Ordnungsrufe waren nie. Die Kunstwelt ist, seit Meese in den 90er-Jahren mit seinem Werk begonnen hat, immer kataloghafter und indexikalischer geworden. Sie fühlt sich zunehmend unwohl in ihrer Haut, in dieser weißen, westlichen, privilegierten Haut, aus der sie so gern herauskommen würde, aber nicht kann, denn für den Körpertausch ist man dann doch noch nicht bereit.
Für viele im Kunstbetrieb ist Jonathan Meese über die Jahre zu einer Hassfigur geworden: einer, der sich immer wieder über politisch engagierte Künstler lustig macht; einer, der sich zweimal am Tag in die Badewanne legt und am liebsten sowieso sein Zuhause nicht verlässt (und wenn, dann in Begleitung seiner Mutter). Ein 48-jähriger Mann, dessen lange dunkle Haare nun langsam grau werden und der sich eher zum dreihundertsten Mal „A Clockwork Orange“ oder „The Wicker Man“ ansieht, als den Coltan-Bergbau im Kongo künstlerisch aufzuarbeiten oder mit Solarlampen die Welt zu retten („Realität bringt mir nichts“). Die Kunstkritik in ihrer derzeitigen Verfassung kann das unmöglich gut finden und natürlich tut sie das auch nicht. Der „Spiegel“-Autor Georg Diez musste sich die „Irrfahrten des Meese“ gar nicht erst ansehen, um ihm im Kunstmagazin „Monopol“ zu bescheinigen, er sehe „nur das Deutsche“, reduziere es auf Comicformat und blähe es gleichzeitig auf und verbreitete damit „den scheußlichen Odem, geruchsbefreit“. (Es ist derselbe Kritiker, der 2012 im Schriftsteller Christian Kracht einen totalitären Denker erkannte.) An Jonathan Meese offenbaren sich wie bei keinem anderen die Erwartungen, die im Moment an Künstler gerichtet werden. Die Argumentation geht so: In den 90er-Jahren sei das ja noch ganz lustig gewesen, dieses Herumkramen in den Grabbelkisten von Sagen und Diktaturen. Aber jetzt?
„Jetzt sind nicht nur die Fahnen und Aufmärsche und Rassismus wieder da“, schreibt Catrin Lorch in der „Süddeutschen Zeitung“, „sondern auch das ganze rechte Interesse an Historie, an Geschichtsklitterungen, Umdeutungen, Verleumdungen. Es spricht nicht für das Werk, dass Jonathan Meese da nicht gefragt war, weder als Prominenter noch als Künstler”. Der Wert eines künstlerischen Oeuvres bemisst sich demnach daran, ob es im Diskurs zu Illustrationszwecken von Weltdiagnosen gefragt oder nicht gefragt ist. Wenn das so ist, wozu braucht man dann das künstlerische Feld? Kann man dann nicht gleich Leitartikel an die Wände hängen? Der Freiraum der Kultur, bemängelt Lorch, fühle sich bei Meese an wie eine Resterampe.
Aber wie soll sich Freiheit denn sonst anfühlen, wenn nicht wie eine Resterampe? Bei Meese gibt es nichts, was es nicht gibt, und es kostet nichts. Mit dem Abgelegten, dem Verkannten, dem Skurrilen und Kindlichen, dem Pubertären und Abenteuerlichen, den Humpty-Dumptys und Mumins, Gralsrittern und Aliens ist zwar ein Werk, aber kein Staat zu machen. Meese ist ein großartiger Maler, ein unglaublich einfallsreicher Plastiker (und zwar schon seit 20 Jahren, wie man hier sehen kann). Aber er ist eben nicht Anselm Kiefer: Meese veralbert, statt zu überhöhen. Alles, was diese Zivilisation produziert, wird früher oder später Abfall. Das, was durch die Produktion und Zweitverwertung des Abfalls hindurchpulst, diese überaus menschliche Energie heißt bei Meese „Diktatur der Kunst“. Er vergöttert nicht Nero oder Stalin, sondern schneidert aus ihren Mänteln Uniformen, die ausschließlich auf Bühnen getragen werden sollen. Der Hitlergruß, für den Meese 2013 vor Gericht stand und freigesprochen wurde, war Teil einer Performance. Trotzdem haben Museen ihn danach gemieden.
Wenn wir zwischen Fiktion und Realität nicht mehr unterscheiden können, haben wir ein Problem. Die Unbedingtheit, mit der Jonathan Meese auf dem Existenzrecht von Fiktion beharrt, ist wichtiger denn je. Wir sehen, wie das Fantastische und Eigensinnige vom Nützlichen und Korrekten abgelöst wird. Meeses Werk handelt von der Freiheit, sich von den Zumutungen und angeblichen Wichtigkeiten der Gesellschaft freizumachen. Der matten Ödnis von offenen Briefen und gereizten Debatten wird bei Meese der in seiner Lächerlichkeit über sich hinauswachsende Held entgegengesetzt. Er ist ein Eskapist reinsten Wassers. Einen einzigen wird dieses realitätsfixierte Land ja wohl noch aushalten.
DIE WELT © Axel Springer SE. Alle Rechte vorbehalten
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Ein Sehnsuchtstyp
Jonathan Meese ist wieder da. Warum wir ihn heute mehr denn je brauchen. Eine Würdigung.
Von Boris Pofalla | welt.edition
Alles, was diese Zivilisation produziert, wird früher oder später Abfall: Die Werkschau des Jonathan Meese passt in einen einzigen Raum - Copyright: © Jonathan Meese /VG Bild-Kunst, Bonn 2018/ Jörg Koopmann
Man hatte sich das anders vorgestellt. Eine Werkschau für den von der Kritik traditionell als mythenseligen Provokateur verstandenen Jonathan Meese müsste dunkler und höhlenhafter sein. Wirrer auch. Aber dann steht man in der etwas aseptischen Pinakothek der Moderne in einem seltsam körperlos gewordenen Saal, in den pudriges weißes Licht fällt und dessen Decke wiederum in lauter Quadrate unterteilt ist. Diese Decke sieht aus wie der transluzente Boden des Raums in der letzten Szene von „2001 – Odyssee im Weltraum” von Stanley Kubrick. Das ist schlüssig, denkt man, denn diese Retrospektive heißt ja ebenfalls nach Homers Odyssee.
„Die Irrfahrten des Meese“ kommt mit einem einzigen Saal aus, aber der hat es in sich. Die in zarten bis leuchtenden Farben glühenden Gemälde an den Wänden, die Vitrinen mit den Zeichnungen und die kleinen Plastiken und Assemblagen auf den schmalbeinigen Tischen: All das schwebt in diesem körperlosen Weiß. Man ist hier wie in Watte gepackt. Auch weil der Boden mit Teppich ausgelegt wurde, der selbst wiederum ein Bild von Jonathan Meese ist: ein roter Fleck, aus dem lang gezogene Farbspritzer wie Tentakel in die Weite des Raumes ausgreifen. In der Mitte steht „Zielsetzung Kunst“, von dort streben schwarze Pfeile nach außen, neben denen für Meese wichtige Figuren und Begriffe aufgeführt sind: Conan. Nero. Mumin. Camelot. Zardoz. Caligula. Liebe. Es ist ein Schaubild, es erklärt uns die Welt. Meeses Welt.
Geboren 1970 in Tokio, als Kind umgetopft nach Ahrensburg, studierte der Sohn einer Deutschen und eines Walisers bei Franz Erhard Walther in Hamburg. Ab Ende der 90er-Jahre wurde er mit ausufernden Installationen und aufsehenerregenden Performances bekannt. Seine mit kindlicher Fröhlichkeit betriebene Vermengung von germanischen Sagengestalten, militärischen Symbolen und Popkultur wurde international ausgestellt. Eine Inszenierung des Rings in Bayreuth scheiterte an den Wagners, dafür hat Meese mit seiner Inszenierung des „Mondparsifal“ in Berlin und Wien brilliert. Vor Kurzem ist bei Walter König seine Biografie erschienen. Meese ist berühmt, eine Retrospektive war überfällig. Jetzt ist sie da, präzise kuratiert von Swantje Grundler und Bernhart Schwenk.
Aber muss eine Retrospektive nicht trotzdem viel größer ausfallen? Bemisst sich der Ruhm und die Bedeutung eines Künstlers nicht nach Quadratmetern, die ihm oder ihr in einem wichtigen Kunsthaus freigeräumt werden? Doch, sicher, und deshalb wandert man ja auch so oft durch Museumswüsten, in denen super wichtige Oeuvres ausgebreitet werden wie Argumente in einem niemals endenden Kommunepalaver. Der Geist des Archivs weht derart scharf durch unsere Zeit, dass man den nicht vorhandenen Hut festhalten muss. Dass künstlerische Bedeutung heute vor allem in Mimesis und Addition gesucht werden, beweist der Boom der immer weiter ausufernden Biennalen und Documenta. Noch ein Raum, noch ein aufgelassenes Haus, noch eine Stadt, noch eine Facette der Realität, immer mehr, mehr, mehr. Man will die Wirklichkeit einfangen, die harte unbekannte Welt da draußen, in der es Kriege gibt und Hass und Hunger. Es muss immer mindestens um alles gehen, und zwar gleichzeitig und mit einer ernsten Miene. So viele Podiumsdiskussionen, so viele Ordnungsrufe waren nie. Die Kunstwelt ist, seit Meese in den 90er-Jahren mit seinem Werk begonnen hat, immer kataloghafter und indexikalischer geworden. Sie fühlt sich zunehmend unwohl in ihrer Haut, in dieser weißen, westlichen, privilegierten Haut, aus der sie so gern herauskommen würde, aber nicht kann, denn für den Körpertausch ist man dann doch noch nicht bereit.
Für viele im Kunstbetrieb ist Jonathan Meese über die Jahre zu einer Hassfigur geworden: einer, der sich immer wieder über politisch engagierte Künstler lustig macht; einer, der sich zweimal am Tag in die Badewanne legt und am liebsten sowieso sein Zuhause nicht verlässt (und wenn, dann in Begleitung seiner Mutter). Ein 48-jähriger Mann, dessen lange dunkle Haare nun langsam grau werden und der sich eher zum dreihundertsten Mal „A Clockwork Orange“ oder „The Wicker Man“ ansieht, als den Coltan-Bergbau im Kongo künstlerisch aufzuarbeiten oder mit Solarlampen die Welt zu retten („Realität bringt mir nichts“). Die Kunstkritik in ihrer derzeitigen Verfassung kann das unmöglich gut finden und natürlich tut sie das auch nicht. Der „Spiegel“-Autor Georg Diez musste sich die „Irrfahrten des Meese“ gar nicht erst ansehen, um ihm im Kunstmagazin „Monopol“ zu bescheinigen, er sehe „nur das Deutsche“, reduziere es auf Comicformat und blähe es gleichzeitig auf und verbreitete damit „den scheußlichen Odem, geruchsbefreit“. (Es ist derselbe Kritiker, der 2012 im Schriftsteller Christian Kracht einen totalitären Denker erkannte.) An Jonathan Meese offenbaren sich wie bei keinem anderen die Erwartungen, die im Moment an Künstler gerichtet werden. Die Argumentation geht so: In den 90er-Jahren sei das ja noch ganz lustig gewesen, dieses Herumkramen in den Grabbelkisten von Sagen und Diktaturen. Aber jetzt?
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Jonathan Meese in seiner Ausstellung "Die Irrfahrten des Meese" in der Münchner Pinakothek der Moderne - (Foto: AFP) |
„Jetzt sind nicht nur die Fahnen und Aufmärsche und Rassismus wieder da“, schreibt Catrin Lorch in der „Süddeutschen Zeitung“, „sondern auch das ganze rechte Interesse an Historie, an Geschichtsklitterungen, Umdeutungen, Verleumdungen. Es spricht nicht für das Werk, dass Jonathan Meese da nicht gefragt war, weder als Prominenter noch als Künstler”. Der Wert eines künstlerischen Oeuvres bemisst sich demnach daran, ob es im Diskurs zu Illustrationszwecken von Weltdiagnosen gefragt oder nicht gefragt ist. Wenn das so ist, wozu braucht man dann das künstlerische Feld? Kann man dann nicht gleich Leitartikel an die Wände hängen? Der Freiraum der Kultur, bemängelt Lorch, fühle sich bei Meese an wie eine Resterampe.
Aber wie soll sich Freiheit denn sonst anfühlen, wenn nicht wie eine Resterampe? Bei Meese gibt es nichts, was es nicht gibt, und es kostet nichts. Mit dem Abgelegten, dem Verkannten, dem Skurrilen und Kindlichen, dem Pubertären und Abenteuerlichen, den Humpty-Dumptys und Mumins, Gralsrittern und Aliens ist zwar ein Werk, aber kein Staat zu machen. Meese ist ein großartiger Maler, ein unglaublich einfallsreicher Plastiker (und zwar schon seit 20 Jahren, wie man hier sehen kann). Aber er ist eben nicht Anselm Kiefer: Meese veralbert, statt zu überhöhen. Alles, was diese Zivilisation produziert, wird früher oder später Abfall. Das, was durch die Produktion und Zweitverwertung des Abfalls hindurchpulst, diese überaus menschliche Energie heißt bei Meese „Diktatur der Kunst“. Er vergöttert nicht Nero oder Stalin, sondern schneidert aus ihren Mänteln Uniformen, die ausschließlich auf Bühnen getragen werden sollen. Der Hitlergruß, für den Meese 2013 vor Gericht stand und freigesprochen wurde, war Teil einer Performance. Trotzdem haben Museen ihn danach gemieden.
Wenn wir zwischen Fiktion und Realität nicht mehr unterscheiden können, haben wir ein Problem. Die Unbedingtheit, mit der Jonathan Meese auf dem Existenzrecht von Fiktion beharrt, ist wichtiger denn je. Wir sehen, wie das Fantastische und Eigensinnige vom Nützlichen und Korrekten abgelöst wird. Meeses Werk handelt von der Freiheit, sich von den Zumutungen und angeblichen Wichtigkeiten der Gesellschaft freizumachen. Der matten Ödnis von offenen Briefen und gereizten Debatten wird bei Meese der in seiner Lächerlichkeit über sich hinauswachsende Held entgegengesetzt. Er ist ein Eskapist reinsten Wassers. Einen einzigen wird dieses realitätsfixierte Land ja wohl noch aushalten.
- „Die Irrfahrten des Meese“, bis 3. März, Pinakothek der Moderne, München, Katalog 12,80 Euro.
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ach - nichts wird so heiß gegessen - wie es gekocht wird ...
zu meinen aktiven "selbsterfahrungs-trips"- und "gruppendynamischen trainings"-epochen etc. pp. seinerzeit hieß ein in dieser scene immer wieder gern gewähltes thema: "entwickele dein inneres kind in dir" ... -
und mit viel psychodynamischem bohei wurde in intensiv-meditativen "reisen ins ich" das "innere kind in einem" aufgesucht - gefunden - und getätschelt und gehätschelt - denn das "innere kind in mir", das wie ich in der direkten nachkriegszeit geboren wurde oder das licht der inneren psyche erblickte (ich bin jahrgang 1947) war wahrscheinlich kein "wunschkind" - und wäre in späteren epochen bei etwas mutigeren und weltoffeneren eltern oder zumindest müttern bestimmt klammheimlich abgetrieben worden - und auch sonst: die sommer waren zu heiß und zu trocken (fast so wie jetzt 70 jahre später: 2018) - und zu beißen gab es nicht viel - und der spätere nuk-baby-beißring war noch nicht erfunden - die trümmer des krieges noch nicht gänzlich beseitigt - und es blühten noch nicht auf allen gräbern und gruften die geranien ...
die eltern waren ängstlich - und meine auf dem lande großgewordene mutter hatte schiss um sich und um mich vor dem mit dem wirtschaftlichen aufschwung nun immer stärker aufkeimenden verkehr auf der durchgangsstraße vor unserer wohnung. entsprechend wurde ich "beschützt" und "gehätschelt" ...- und als jüngster von dreien auch verwöhnt ...
und immer wenn ich von der lebenslangen mutterbindung des jonathan meese lese (* 1970 - könnte also mein sohn sein ...), denke ich mir: der lebt sein "inneres kind in ihm" so richtig und ausgiebig und penetrant aus - und kann vielleicht auch gar nicht anders als selbsterfahrung und selbsttherapie - und krempelt so sein innerstes so-geworden-sein nach außen - mit all den verschütteten bildern von den spiegelneuronen seiner direkten erzeuger und den prägenden lokalwahrnehmungen seiner real-biografischen japanischen geburtsstadt tokio und all den darin verquickten vielleicht auch internationalen vorfahren - deren eltern und großeltern ja selbst noch mittendrin standen in all dem internationalen gedöns zwischen 14-18 und 39-45 in europa ...
jonathan meese hörte davon erst später, als er so um die 20/25 jahre alt - inzwischen geschult und vom englischen in die deutsche sprache ge- und erzogen und eingebläut (die mutter war ja alleinerziehend von tokio nach deutschland zurückgekehrt ...) allmählich erwachte und seine umwelt außerhalb der binnenwelt des "mütterlichen uterus" wahrzunehmen lernen musste - abgenabelt in nochmals einer art realistisch gefühlter und erfahrener sturzgeburt ...
malend machte sich meese nun "seine (traumatische?) welt" zu eigen - be-"schrieb" sie und be-"kritzelte", beschmierte und blamierte sie - und drang allmählich vor - aus seiner ureigensten wahrnehmung in "diese" komplizierte welt ...
es war sicherlich so ähnlich, als wenn irgendein grünes männlein aus dem all hier auf diese olle mutter erde abgesetzt wird ... - und sich hier umschaut - und all die realitäten - aber im laufe der zeit auch all die irrealitäten und mythen und märchen und sagen und helden - erfährt und internalisiert und reflektiert.
und bei all dem kommt dann so etwas raus: etwas, was wie "irrfahrten" anmutet - aber eigentlich nur eine e i g e n - a r t i g e "erkundung" und "forschung" war und ist - und bleiben wird ...
heinrich heine meinte:
heinrich heine meinte:
„alles in der welt endet durch zufall und ermüdung“ ...