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"bots"-flut - bearbeitete WELT-abb. |
AUTOMATISIERTE NUTZER
Roboter mobilisieren gegen Migrationspakt
Von Alexej Hock, Jan Lindenau | WELT.de
Im Internet tobt der Streit über den Migrationspakt. Automatisierte Nutzer – sogenannte Social Bots – steuern laut einer aktuellen Analyse fast 30 Prozent aller Tweets dazu bei. Ihr Ziel ist ziemlich klar.
Wer sich in den vergangenen Wochen in sozialen Netzwerken über den Migrationspakt informieren wollte, kam an plumpen Fotomontagen nicht vorbei. Da zieht etwa eine voll verschleierte, übergroße Frauenfigur – vermutlich Angela Merkel – ein Flüchtlingsboot hinter sich her. Ein Nutzer postete es auf Twitter und schrieb dazu „#MigrationspaktStoppen“ und „#Umvolkung stoppen“.
Es gibt viele Accounts, die solche Bilder oder diffamierende Nachrichten twitterten – nur gibt es begründete Zweifel daran, dass dahinter tatsächlich immer ein realer Mensch steckt. Denn eine Analyse der Firma Botswatch, die WELT in Auszügen exklusiv vorliegt, kommt zu dem Schluss: Die Debatte über den UN-Migrationspakt beim Kurznachrichtendienst Twitter ist maßgeblich von Social Bots beeinflusst.
Solche Bots (eine Abkürzung von Roboter) sind Teilnehmer in sozialen Netzwerken, die von Maschinen gesteuert werden. Es gibt verschiedene Arten solcher Bots. Manche reagieren etwa nach bestimmten Mustern auf Mitteilungen anderer und verfassen daraufhin automatisiert Beiträge. So können sie – oder ihre Macher – in Debatten eingreifen und sie lenken.
800.000 Tweets wurden untersucht
Je besser sie programmiert sind, desto schwieriger sind sie von realen Nutzern zu unterscheiden. Ihre Urheber kann man kaum herausfinden.
Mehr als ein Viertel aller Tweets zum Migrationspakt (28 Prozent) ist demnach auf künstliche Teilnehmer zurückzuführen. Den Analysten zufolge liegt der Durchschnitt bei politischen Diskussionen sonst etwa bei der Hälfte (zehn bis 15 Prozent).
Der Anteil von Social Bots auf Twitter, gemessen an der Gesamtzahl aktiver Accounts, liegt bei 14 Prozent. Für ihre Studie zum UN-Migrationspakt untersuchten die Analysten knapp 800.000 Tweets im Zeitraum vom 24. November bis zum 2. Dezember 2018.
Botswatch ist ein „Cyber Intelligence Startup“ aus Berlin, das eine Technologie entwickelt hat, um die Beeinflussung der öffentlichen Meinung auf digitalen Plattformen durch solche Social Bots darstellen zu können.
Das Unternehmen ist darauf spezialisiert, Propaganda und Desinformation vor und während Wahlen und Terroranschlägen automatisiert aufzuspüren. Die Ergebnisse jetzt zeigen, dass der Migrationspakt unter vielen Twitternutzern kontrovers diskutiert wurde: Nicht jeder Tweet, nicht jeder Meinungsbeitrag war dabei Teil einer gesteuerten Kampagne.
Doch der jetzige Anteil von Social Bots ist laut Botswatch so hoch wie seit der Bundestagswahl nicht mehr. Irgendjemand hat offenbar ein großes Interesse daran, das Thema zu befeuern und die Diskussion zu beeinflussen.
Zur Verdeutlichung hat Botswatch eine Grafik mit der Netzwerkwolke erstellt. Sie beruht auf den untersuchten Daten und stellt die Verknüpfungen zwischen den Accounts dar. So lässt sich erkennen, wie stark die Debatte von der AfD getrieben war.
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Twitter-Profile in einer Netzwerkwolke: Der Kreis mit echten und künstlichen AfD-nahen Accounts ist deutlich größer als die Ansammlung in Orange, die andere Inhalte verbreitete Quelle: botswatch |
Echte und nicht-echte Akteure machen Meinung
Der zentrale Kreis aus grünen, türkisen und lila Punkten besteht aus echten und nicht-echten Accounts, deren Inhalte AfD-nahe Meinungen verbreiten. Neben offiziellen AfD-Accounts sind hier Profile rechtskonservativer Websites bis hin zu rechtsextremen Aktivisten zu finden.
Durch Retweets und Erwähnungen werden Verbindungen hergestellt. Diese müssen allerdings nicht auf Gegenseitigkeit beruhen. So werden Medien aufgeführt, etwa wenn ein Artikel besonders häufig geteilt und das Medienhaus dazu verlinkt wird.
Je mehr solcher Verbindungen vorhanden sind, desto näher liegen die Punkte aneinander. Die hohe Verdichtung zeigt, wie stark die Erzählung ist – zu sehen in der Grafik im Kreis links.
Eher am Rande findet sich die orangefarbene Wolke, zu sehen rechts in der Grafik. Sie verbreitet ein anderes Narrativ über den Migrationspakt. Die Ausdehnung zeigt, dass die Schnittmengen zwischen beiden Gruppen nur gering sind.
Deutschland „geht den Bach runter“, raunt es
Zu den Narrativen, die die Debatte bestimmen, gehörten den Analysten zufolge Behauptungen, wonach die Bundesregierung versuche, die Öffentlichkeit beim Migrationspakt bewusst zu täuschen. Das Abkommen sei rechtlich bindend, damit hole die Regierung Flüchtlinge nach Deutschland. Es sind Unwahrheiten, die Teil der Desinformationskampagne der AfD und ihr naher Netzwerke sind.
Doch diese Erzählmuster sind nicht nur von Social Bots geprägt, sondern auch von sogenannten „Influence Operations“, also gezielten Kampagnen, in der Regel von Regierungen aufgesetzt.
Von ihnen stammen auch Fotomontagen, die dann vielfach geteilt werden. In der Analyse wird ein Bild von Merkel als Regentin mit Krone gezeigt oder das Bild eines auf dem Wasser treibenden Grabsteins mit der Aufschrift „Deutschland geht den Bach runter“.
Mit solchen Grafiken operieren auch kleinere Kampagnen von Aktivisten. WELT berichtete vor ein paar Tagen zum Beispiel über einen Chat-Kanal, über den sich Anhänger einer rechtsextremen Gruppe zu Anti-Migrationspakt-Kampagnen besprachen und versuchten, in die Debatte einzugreifen.
Die Debatte über den Migrationspakt zog über die Monate an
Quelle: Infografik WELT
Nutzer luden dort selbst erstellte Fotomontagen hoch oder konnten sich Druckvorlagen von Flyern herunterladen. Sie teilten auch E-Mail-Adressen von Bundestags- und Europaabgeordneten, ganze Briefvorlagen kursierten dort. Inzwischen ist der Chat-Verlauf gelöscht.
Auch ihr Hashtag „#migrationspaktstoppen“ taucht in der Analyse auf, spielt aber zahlenmäßig eine untergeordnete Rolle. Am häufigsten nutzten Social Bots den Hashtag „#migrationspakt“.
Die Netzwerkwolke zeigt auch auf, wer Diskussionen angeregt, Inhalte in die Debatte eingebracht hat. Das ist an den einzelnen Inseln zu erkennen, die den Kreis umgeben und mit Accounts im zentralen Kreis verbunden sind.
Auffällig ist, dass der offizielle YouTube-Kanal Verbindungen nach außen zu solchen Ansammlungen aufweist. Bestimmte Netzwerke haben also Videos der Plattform mit Stichwörtern dieser Debatte versehen.
Laut Botswatch-Geschäftsführerin Tabea Wilke zeigt das, „wie erfolgreich künstlich entwickelte Narrative über YouTube in einen Diskurs eingebracht werden können. Oftmals sind es extra für diesen Zweck erstellte Hubs, also digitale Verteilstellen, die sehr effektiv in andere Netzwerke und Diskurse hineinwirken.“
YouTube ist ein zentraler Distributionskanal
Die Videoplattform rangiert auch bei der Rangliste von Verlinkungen ganz oben. Betrachtet man nur die Tweets von Social Bots, so liegt YouTube auf Platz drei. In der Gesamtbetrachtung landet die Seite auf dem zweiten Platz. Sie hat in der Debatte allgemein also einen hohen Stellenwert.
Für die Analysten ist deshalb klar: YouTube ist ein zentraler Distributionskanal für die Kampagne gegen den Migrationspakt. Nicht Twitter, nicht Facebook.
Mit weitem Abstand auf Platz eins landet jedoch die Internetseite „Voice of Europe“, die Botswatch sehr wohl bekannt ist. Bereits bei vergangenen Untersuchungen trat die Website als Verbreiter von Fake News in Erscheinung und wurde auch bei „Influence Operations“ zitiert.
Die Autoren der Studie bilden nicht den gesamten Zeitraum der Debatte ab. Als sie mit ihrer Auswertung begannen, war der Höhepunkt der Debatte in Deutschland bereits abzusehen: Der Bundestag bekannte sich fünf Tage später in einer Abstimmung zum Migrationspakt. Es war also die letzte Chance, um gegen eine Zustimmung Deutschlands zu mobilisieren.
Interessant zudem: Bei den untersuchten Netzwerken gab es Verbindungen zu den Protesten der Gelbwesten in Frankreich. Laut den Autoren der Studie soll so der Eindruck einer grenzüberschreitenden Bewegung hergestellt werden. Und die gleichen Netzwerke, die gegen den Migrationspakt aktiv sind, sind auch im Thema Dieselfahrverbote aktiv.
Auf mögliche Strippenzieher hinter den Social Bots geht die Analyse nicht ein. Aber: „Jemand scheint Interesse daran zu haben, dass diese Debatte geführt wird und dass gezielt Falschinformationen über den UN-Migrationspakt verbreitet werden“, sagt Botswatch-Geschäftsführerin Wilke über den überdurchschnittlich hohen Anteil künstlicher Tweets. „Das Thema eignet sich sehr gut dafür, die westliche Wertegemeinschaft infrage zu stellen.“
DIE WELT © Axel Springer SE. Alle Rechte vorbehalten.
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das liebe ich ja an der "welt", dass sie redaktionell trotz einer liberal-konservativen grundhaltung auch die helleren meinungsfarben wahrnimmt und beleuchtet und darüber berichtet. da überlässt sie mir dann die wertung ganz allein - und das ist auch gut so...
und endlich behandelt sie mal die um sich greifenden rechts-populistischen einseitig europaweiten "bots" im internet, die automatisiert und digitalisiert per irgendwelcher algorithmen-maschinen die meinungsforen überfluten, um "masse" zu suggerieren.
das geschieht meines erachtens nicht nur in den (a)sozialen medien, sondern auch in den leserbrief-kommentarforen zu einschlägigen artikeln in den print- und digitalmedien, wo manchmal in 2 stunden mitten am tag 450 einseitig rechtspopulistische leserbrief-kommentare zu einer neuen redaktionellen meldung oder einem kommentar hochgeladen werden.
und im kleinen belgien ist mit solcherart fake news nun die regierung in eine krise gestürzt worden, denn bis neulich hat sich um den migrationspakt dort kaum jemand gekümmert und auch die rechtsgerichtete flämische nationalpartei n-va hatte diesen pakt zunächst voll mitgetragen, bis man jetzt international per twitter & co. dagegen aufrüstete - da ist die n-va nun ausgestiegen: ein pakt, der die rechtsnormen einzelner staaten nur äußerst peripher tangieren wird, denn er hat nun mal (leider) keine rechtsverbindlichkeit ...
aber da sieht man schon die vermeintliche "macht" dieser "bots"-fluten: in den wahlkämpfen in amerika, um den "brexit" in großbritannien, bei der bundestagswahl mit dem wahrscheinlich bots-gepushten ergebnis der afd und all den folgen, und nun beim migrationspakt.
man sagt ja so gern: leitkultur - und dazu passend auch "leitmedien" (z.b. "tagesspiegel" in berlin) - aber viele menschen lehnen ja "seriöse" meinungsleitende medien für sich ab - und "informieren" sich über die sozialnetze - und lassen sich dann von verschieden auftretenden "#hashtags" und "#shitstorms" und weiteren unbelegten "verschwörungstheorien""eine meinung aufzwingen": denn mit raffinierter gezielter steter propaganda der gleichen sache in immer neuen massenhaften varianten wird letztlich das hirn weich ...
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jimmy - das gummipferd |
und das fatale ist ja: per "shitstorm" kann es ja jeden treffen ... da werden in windeseile mit allen mitteln kleine mücken zu riesengroßen elefanten aufgeblasen: so ähnlich wie früher im "sternchen", den kinderseiten im "stern", "jimmy das gummipferd" - wenn dem der stöpsel vom gummierten schweif gezogen wurde, ging die luft raus und es fiel in sich zusammen ...
und sooo erstaunlich ist die wirkung eines bots ja auch nicht - schon vor 40-50 jahren hielt sich das gerücht, dass kleine eindrückliche zwischengeschnittene bildsequenzen in einem film, für das auge bewusst kaum wahrnehmbar, sich ins unterbewusstsein einschleichen und dass das wunschverhalten durch eine solche "unterschwellige werbung" fast zwingend entsprechend steuerbar wird... allerdings wurden und werden diese mechanismen auch immer wieder angezweifelt - so dass ich nicht weiß, ob das auch "fake news" sind - oder raffinierte bewusste meinungsverwirrungen ...
aber unbestritten ist ja das gezielte cybermobbing auf einzelnen, die ja auch dadurch psychische und physische schäden davontragen können - also da lässt sich durchaus in den blogs und posts etwas absetzen, was die gewünschte wirkung zeigt ...
und sooo erstaunlich ist die wirkung eines bots ja auch nicht - schon vor 40-50 jahren hielt sich das gerücht, dass kleine eindrückliche zwischengeschnittene bildsequenzen in einem film, für das auge bewusst kaum wahrnehmbar, sich ins unterbewusstsein einschleichen und dass das wunschverhalten durch eine solche "unterschwellige werbung" fast zwingend entsprechend steuerbar wird... allerdings wurden und werden diese mechanismen auch immer wieder angezweifelt - so dass ich nicht weiß, ob das auch "fake news" sind - oder raffinierte bewusste meinungsverwirrungen ...
aber unbestritten ist ja das gezielte cybermobbing auf einzelnen, die ja auch dadurch psychische und physische schäden davontragen können - also da lässt sich durchaus in den blogs und posts etwas absetzen, was die gewünschte wirkung zeigt ...
solch ein "stöpselzieher" wie beim gummipferd, solch ein einwandfrei funktionierender virtueller bots"filter" wird noch gesucht: aber dann wird es bei den sich hinter bots versteckenden akteuren heißen: "wir sind 'zensiert' worden" ... - und grundgesetz artikel 5 lautet ja:
Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. jedoch massenhafte fake-"bots" in irgendwelchen meinungsforen jeder art, die in die öffentlichen meinungen einschwappen und sie verwässern und überfluten - das haben die mütter und väter des grundgesetzes nur vom nazi-propaganda goebbels und seinen konsorten gekannt - aber noch mit dem alten volksempfänger-dampfradio ... - da muss heutzutage rasch noch nachgebessert werden ...
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update: taz
UN-Migrationspakt auf Twitter
Angeblicher Bot-Grusel
Von Meike Laaff | taz
Jeder vierte Tweet zum Migrationspakt soll von einem Bot stammen. Ob wahr oder nicht: Wir müssen viele Infos im Netz genau hinterfragen.
Es ist etwas passiert. Ein Artikel in der Welt ist erschienen, in dem berichtet wird, dass 28 Prozent aller Tweets zum UN-Migrationspakt auf Social Bots zurückgehen. Das soll eine Studie des Berliner Start-ups Botswatch herausgefunden haben.
Weitere Ergebnisse der Studie, für die das Start-up 800.000 Tweets analysiert hat, die zwischen dem 24. November und dem 2. Dezember veröffentlicht wurden: Der Anteil der Maschinen-Tweets ist angeblich fast doppelt so hoch wie sonst bei politischen Diskussionen. Es sei die Behauptung gestreut worden, dass die Bundesregierung die Öffentlichkeit beim Migrationspakt bewusst zu täuschen versucht habe, dass das Abkommen rechtlich verbindlich sei. Und während die Studie im Volltext nicht öffentlich verfügbar ist, zitiert die Welt die Botswatch-Geschäftsführerin Tabea Wilke mit der Äußerung, das Thema Migrationspakt eigne sich sehr gut, „die westliche Wertegemeinschaft infrage zu stellen“.
Was natürlich bedrohlich klingt: Maschinen, die in unsere handgemachten Diskussionen in sozialen Netzwerken eingreifen.Wobei der Social-Media-Analyst Luca Hammer die nicht öffentlich einsehbare Studie umgehend hinterfragte: auf Basis des Welt-Berichts sei nicht nachvollziehbar, wie Botswatch vorgegangen sei, um die Social Bots zu identifizieren, twitterte er. Drastischer noch: „Es gibt keine Beweise für Bots.“
Doch: Selbst wenn man annimmt, dass die Botswatch-Zahlen stimmen – dass jeder vierte Tweet zum Migrationspakt von maschinell befüllten Accounts erzeugt sei –, dann sagt das erst mal wenig über den tatsächlichen Einfluss auf den politischen Diskurs.
Ungelenk und relativ leicht enttarnbar
Social Bots, das sind Maschinen, die in der Kommunikation mit Menschen vorzugaukeln versuchen, dass sie reale Personen seien. Es gibt sie weit länger als Twitter: Schon Mitte der 1960er schrieb der Mathematiker Joseph Weizenbaum „Eliza“ – ein Programm, das sich als Mensch und Psychologe ausgab: Das waren erste Gehversuche auf dem Weg zu dem, was heute als Künstliche Intelligenz durchgehypt wird.
Auch in sozialen Netzwerken gibt es Bots von Beginn an. Zum Problem wurden sie hochgeschrieben, als Besorgnis aufkam, sie würden genutzt, um politische Stimmungen zu drehen. Als etwa ein Großteil der Tweets zu #Brexit und #Remain den Social Bots zugeschrieben wurde. Und die Angst groß war, dass sie auch bei der Bundestagswahl Einfluss haben könnten.
Die Bedrohung liegt darin, Hashtags als Beleg dafür zu sehen, was Menschen bewegt
Häufig allerdings wirkten diese Social Bots beim näheren Hinsehen wenig bedrohlich: in der Vergangenheit twitterten viele Maschinen vor allem Links zu Spamseiten und Werbung – womit sie höchstens bestimmte Hashtags populär machten. Komplexere Social Bots, die nicht nur retweeteten, sondern sich aktiv in Diskussionen einmischten, gelten vielen Experten bis heute als ungelenk und relativ leicht enttarnbar. Und selbst wenn ein gut gemachter Bot vom Durchschnittsnutzer nicht hinterfragt, sondern einfach geretweetet wird: dass ein Mensch auf Basis eines unbekannten Twitter-Accounts seine Meinung umkrempelt oder bildet, ist Ausdruck viel tiefgreifenderer Probleme als der der Existenz von Twitter-Automaten.
Nicht alles, was im Internet steht, stimmt
Die größte Bedrohung durch Social Bots liegt darin, soziale Netzwerke und ihre Hashtags als hinreichenden Beleg dafür zu sehen, was Menschen gerade bewegt, in welche Richtung sie angeblich tendieren. Gegen diese Fehlwahrnehmung müssen sich vor allem Medien wappnen. Hold the frontpage: Nicht alles, was im Internet steht, stimmt.
Es gibt sie: die Versuche, Diskurse zu beeinflussen, Falschinformationen zu streuen. Das ist in den vergangenen zwei Jahren offenkundig geworden – allerdings wesentlich bedrohlicher durch Einmischungsversuche von Trollfarmen und koordinierten Social-Media-Raids gegen Andersdenkende, wie sie Showmaster Jan Böhmermann im Zusammenhang mit Reconquista Germanica bekannt gemacht hat.
Daraus müssen alle aufgeklärten Internetnutzer lernen. Vor allem die, die mediale Gatekeeper sind: Stimmungen lassen sich nicht faul vom Schreibtisch aus von Twitter-Trends ableiten. Ein neues Misstrauen ist nötig. Auch wenn das mehr Arbeit macht als das Gruseln vor den bösen Meinungsmaschinen.
update: taz
UN-Migrationspakt auf Twitter
Angeblicher Bot-Grusel
Von Meike Laaff | taz
Jeder vierte Tweet zum Migrationspakt soll von einem Bot stammen. Ob wahr oder nicht: Wir müssen viele Infos im Netz genau hinterfragen.
Es ist etwas passiert. Ein Artikel in der Welt ist erschienen, in dem berichtet wird, dass 28 Prozent aller Tweets zum UN-Migrationspakt auf Social Bots zurückgehen. Das soll eine Studie des Berliner Start-ups Botswatch herausgefunden haben.
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Das ist das World Press Photo des Jahres 2013. Geschossen hat es der Amerikaner John Stanmeyer für das Magazin „National Geographic“. Es zeigt Flüchtlinge in Somalia, die auf Handyempfang warten, um mit Familie und Freunden daheim telefonieren zu können. Quelle: AFP/Stephan/AO - DIE WELT |
Weitere Ergebnisse der Studie, für die das Start-up 800.000 Tweets analysiert hat, die zwischen dem 24. November und dem 2. Dezember veröffentlicht wurden: Der Anteil der Maschinen-Tweets ist angeblich fast doppelt so hoch wie sonst bei politischen Diskussionen. Es sei die Behauptung gestreut worden, dass die Bundesregierung die Öffentlichkeit beim Migrationspakt bewusst zu täuschen versucht habe, dass das Abkommen rechtlich verbindlich sei. Und während die Studie im Volltext nicht öffentlich verfügbar ist, zitiert die Welt die Botswatch-Geschäftsführerin Tabea Wilke mit der Äußerung, das Thema Migrationspakt eigne sich sehr gut, „die westliche Wertegemeinschaft infrage zu stellen“.
Was natürlich bedrohlich klingt: Maschinen, die in unsere handgemachten Diskussionen in sozialen Netzwerken eingreifen.Wobei der Social-Media-Analyst Luca Hammer die nicht öffentlich einsehbare Studie umgehend hinterfragte: auf Basis des Welt-Berichts sei nicht nachvollziehbar, wie Botswatch vorgegangen sei, um die Social Bots zu identifizieren, twitterte er. Drastischer noch: „Es gibt keine Beweise für Bots.“
Doch: Selbst wenn man annimmt, dass die Botswatch-Zahlen stimmen – dass jeder vierte Tweet zum Migrationspakt von maschinell befüllten Accounts erzeugt sei –, dann sagt das erst mal wenig über den tatsächlichen Einfluss auf den politischen Diskurs.
Ungelenk und relativ leicht enttarnbar
Social Bots, das sind Maschinen, die in der Kommunikation mit Menschen vorzugaukeln versuchen, dass sie reale Personen seien. Es gibt sie weit länger als Twitter: Schon Mitte der 1960er schrieb der Mathematiker Joseph Weizenbaum „Eliza“ – ein Programm, das sich als Mensch und Psychologe ausgab: Das waren erste Gehversuche auf dem Weg zu dem, was heute als Künstliche Intelligenz durchgehypt wird.
Auch in sozialen Netzwerken gibt es Bots von Beginn an. Zum Problem wurden sie hochgeschrieben, als Besorgnis aufkam, sie würden genutzt, um politische Stimmungen zu drehen. Als etwa ein Großteil der Tweets zu #Brexit und #Remain den Social Bots zugeschrieben wurde. Und die Angst groß war, dass sie auch bei der Bundestagswahl Einfluss haben könnten.
Die Bedrohung liegt darin, Hashtags als Beleg dafür zu sehen, was Menschen bewegt
Häufig allerdings wirkten diese Social Bots beim näheren Hinsehen wenig bedrohlich: in der Vergangenheit twitterten viele Maschinen vor allem Links zu Spamseiten und Werbung – womit sie höchstens bestimmte Hashtags populär machten. Komplexere Social Bots, die nicht nur retweeteten, sondern sich aktiv in Diskussionen einmischten, gelten vielen Experten bis heute als ungelenk und relativ leicht enttarnbar. Und selbst wenn ein gut gemachter Bot vom Durchschnittsnutzer nicht hinterfragt, sondern einfach geretweetet wird: dass ein Mensch auf Basis eines unbekannten Twitter-Accounts seine Meinung umkrempelt oder bildet, ist Ausdruck viel tiefgreifenderer Probleme als der der Existenz von Twitter-Automaten.
Nicht alles, was im Internet steht, stimmt
Die größte Bedrohung durch Social Bots liegt darin, soziale Netzwerke und ihre Hashtags als hinreichenden Beleg dafür zu sehen, was Menschen gerade bewegt, in welche Richtung sie angeblich tendieren. Gegen diese Fehlwahrnehmung müssen sich vor allem Medien wappnen. Hold the frontpage: Nicht alles, was im Internet steht, stimmt.
Es gibt sie: die Versuche, Diskurse zu beeinflussen, Falschinformationen zu streuen. Das ist in den vergangenen zwei Jahren offenkundig geworden – allerdings wesentlich bedrohlicher durch Einmischungsversuche von Trollfarmen und koordinierten Social-Media-Raids gegen Andersdenkende, wie sie Showmaster Jan Böhmermann im Zusammenhang mit Reconquista Germanica bekannt gemacht hat.
Daraus müssen alle aufgeklärten Internetnutzer lernen. Vor allem die, die mediale Gatekeeper sind: Stimmungen lassen sich nicht faul vom Schreibtisch aus von Twitter-Trends ableiten. Ein neues Misstrauen ist nötig. Auch wenn das mehr Arbeit macht als das Gruseln vor den bösen Meinungsmaschinen.