ULTIMATIVE ANLEITUNG
Keine Ahnung, aber klug über Kunst sprechen
Von Boris Pofalla | DIE WELT
Seit meinem ersten Kunstgeschichtsseminar weiß ich, dass „Die raven ja!“ keine korrekte Zusammenfassung eines Fêtes-Galante-Gemäldes aus dem 18. Jahrhundert sein kann. Die selbstvergessene Feier des Augenblicks, der ständige Flirt mit allem und jedem, das Wogen der Körper und der Gewänder in den tollen Farben, das alles findet man auf einem Technofestival wie bei dem französischen Rokoko-Maler Antoine Watteau. Aber man beschreibt es anders.
Kunsthistorische Beschreibungen sind wie Polizeiberichte über spektakuläre Verbrechen: Sie versuchen, alles Subjektive daraus verschwinden zu lassen, und verwenden ein lange erprobtes Fachvokabular. Das ist richtig so, denn anders als systematisch kann man Wissenschaft oder Verbrechensbekämpfung ja nicht betreiben.
Wenn man über Kunst aber nicht promovieren, sondern bloß plaudern will – in der Galerie, dem Museum, auf der Gartenparty des lokalen Kunstvereins oder einer langen Autofahrt mit dem rembrandtverrückten Schwiegervater, dann sollte man bloß nicht so tun, als wolle man sich um einen Lehrstuhl am Kunsthistorischen Institut bewerben.
Wie um Himmels willen redet man über Kunst? Auffällig ist, dass gerade die, die der Sache berufsmäßig am nächsten stehen, also Künstler, Sammler, Ausstellungsmacher, Restauratoren oder Museumschefs überhaupt nicht so über Kunst reden, wie man sich das als Laie immer vorgestellt hat, also wahnsinnig objektiv und in mit jeder Menge Fremdwörtern, die in gedrechselten Sätzen sitzen wie der heilige Hieronymus im Gehäus.
Überraschend handfest und direkt geht es zu auf Biennalen, Kunstmessen, Auktionen, Galerieessen und anderen Branchenterminen. Die für Uneingeweihte unverständlichen Diskursplatzpatronen fliegen eine Etage tiefer herum, dort, wo vom korrekten Gebrauch von Gendersternchen und Worthülsen Drittmittel und Credibility abhängen. Künstler reden fast nie so über ihre Arbeit. Sie können damit meist auch nichts anfangen.
Womit sie was anfangen können: Lob. „Great show!“, „starke Arbeit“, „beeindruckend“ oder auch, wenn Amerikaner anwesend sind: „amazing piece“. Einfach zu loben, ohne ins Detail zu gehen, das ist relativ einfach in der Kunst, weil man Lob so leicht zurückgeben kann und dann alle miteinander happy sind. Ein Betrieb, eine Familie. Eine Falle.
Rainald Goetz schrieb 2007 in „Abfall“ über das „stricherhaft Abgefuckte des Lobens, Lobnutten, Lobtrottel, Trottelkartelle gegenseitigen Lobens“. Zu der Zeit konnte man ihn oft in Galerien sehen. Also, immer nur loben ist öde. Kritik an Kunst dagegen wird, je näher man dem Glutkern kommt, umso seltener und unhörbarer geäußert. Nicht nur, weil vielen der Mut fehlt, es sich mit anderen vermeintlich Wichtigen zu verscherzen, sondern weil man als Kunstfachmensch immer wieder räumlich zusammenhockt – und es ein simples Gebot der Höflichkeit ist, auf einer Vernissage nicht über die Arbeiten der dort ausstellenden Künstler zu lästern.
Wer das, was er sieht, partout nicht gut findet, redet besser über unverfängliche Themen wie Sommerferienorte, jüngst erschossene amerikanische Rapper oder Superfood. Ein gutes Thema, wenn man informiert wirken will, sind wenig geläufige Referenzgrößen, die artists’ artists oder Künstlerkünstler, deren Spurenelemente man in dem gerade gesehenen Werk wiedererkennen kann.
Wenn einem zum Thema Performance aber immer nur Marina Abramowitsch und zum Thema Malerei immer nur Gerhard Richter einfällt, sollte man auf solche Übungen besser verzichten. Und stattdessen genauer hinsehen. Das Werk, über das man sprechen möchte, weil es einen beschäftigt, dieses Werk wird von den eigenen Worten und eigenem Wissen dann nicht zugewuchert, sondern freigelegt. Alles, was den plastischen Eindruck beim Zuhörer befördert, ist gut.
Man muss als Zuhörer nichts von der „Arbitrarität einer Lokalität“ oder „parakuratorischen Logiken“ wissen wie ein Leser von Texten zur Kunst, sondern das Gefühl haben, das Werk hier und jetzt vor sich zu sehen. Das wird aber nur funktionieren, wenn man sich bei der Schilderung seiner eigenen Worte und Bilder bedient. Man muss den eigenen Beobachtungen trauen und ihnen Zeit geben, sich zu ordnen. Das gilt gerade für die neue und neueste Kunst, die noch nicht im Setzkasten der Geschichte gelandet ist, sondern nach allen Seiten hin lebendig wuchert.
Ein Dschungelstück in Südamerika, abgescannt und in eine Animation übersetzt, durch die man sich nun mit einer superneuartigen 3-D-Brille bewegen kann, fliegend und schwebend durch die Kronen und das Gehölz. Was macht das mit mir? Da kann ein Naturfilm oder ein Videospiel besser zum Vergleich dienen als körnige Videokunst von 1972. Für den Anfang jedenfalls.
Wenn man sich nun gemeinsam darüber unterhält, was an dieser Kunsterfahrung anders war als an einem Videospiel, ob man sich freier oder unfreier oder ruhiger, befreit oder melancholisch gefühlt hat, dann ist man schon dabei, über die Wirkung und das Wesen dieser Arbeit nachzudenken. Und darüber kann man doch reden.
Das Anstiften zum Gespräch ist eine Wirkung, die Kunst übrigens nur auf Menschen hat. Wir sind die einzige Zielgruppe, das muss man sich immer wieder vor Augen führen, die Kunst ist für uns da, so wie wir für sie da waren, damals, als wir sie vor 40.000 Jahren auf die Welt gebracht haben.
Jedes Wort, das wir an sie richten, wird sie gnädig akzeptieren, wie schon so viele andere Wörter in anderen Sprachen, zu anderen Zeiten. Es gibt keinen Grund, Angst davor zu haben, über und mit Kunst zu sprechen. Kunst gehört zur Familie. Deshalb geht es beim Reden um Kunst auch niemals ums Rechthaben oder ums Beeindrucken. Es geht zu fünfzig Prozent um die Kunst und zu fünfzig Prozent um das Reden an sich. Was wiederum erklären könnte, warum so viele Kunstfreunde Rheinländer sind.
DIE WELT © Axel Springer SE. Alle Rechte vorbehalten
Preis: US $82.19 - 190.63 / Stück ( EUR € 72.13 ~ 167.30 / Stück ) https://de.dhgate.com/product/jeff-koons-039-balloon-dog-american-popart/390366579.html
Keine Ahnung, aber klug über Kunst sprechen
Was sagt man, wenn man in einer Galerie vor einem abstrakten Gemälde steht? Welche Wörter kann man benutzen, um Kunst zu beschreiben? Eine Anleitung zum Smalltalk über das schwierigste Thema der Welt.
Von Boris Pofalla | DIE WELT
Seit meinem ersten Kunstgeschichtsseminar weiß ich, dass „Die raven ja!“ keine korrekte Zusammenfassung eines Fêtes-Galante-Gemäldes aus dem 18. Jahrhundert sein kann. Die selbstvergessene Feier des Augenblicks, der ständige Flirt mit allem und jedem, das Wogen der Körper und der Gewänder in den tollen Farben, das alles findet man auf einem Technofestival wie bei dem französischen Rokoko-Maler Antoine Watteau. Aber man beschreibt es anders.
Kunsthistorische Beschreibungen sind wie Polizeiberichte über spektakuläre Verbrechen: Sie versuchen, alles Subjektive daraus verschwinden zu lassen, und verwenden ein lange erprobtes Fachvokabular. Das ist richtig so, denn anders als systematisch kann man Wissenschaft oder Verbrechensbekämpfung ja nicht betreiben.
Wenn man über Kunst aber nicht promovieren, sondern bloß plaudern will – in der Galerie, dem Museum, auf der Gartenparty des lokalen Kunstvereins oder einer langen Autofahrt mit dem rembrandtverrückten Schwiegervater, dann sollte man bloß nicht so tun, als wolle man sich um einen Lehrstuhl am Kunsthistorischen Institut bewerben.
Wie um Himmels willen redet man über Kunst? Auffällig ist, dass gerade die, die der Sache berufsmäßig am nächsten stehen, also Künstler, Sammler, Ausstellungsmacher, Restauratoren oder Museumschefs überhaupt nicht so über Kunst reden, wie man sich das als Laie immer vorgestellt hat, also wahnsinnig objektiv und in mit jeder Menge Fremdwörtern, die in gedrechselten Sätzen sitzen wie der heilige Hieronymus im Gehäus.
Überraschend handfest und direkt geht es zu auf Biennalen, Kunstmessen, Auktionen, Galerieessen und anderen Branchenterminen. Die für Uneingeweihte unverständlichen Diskursplatzpatronen fliegen eine Etage tiefer herum, dort, wo vom korrekten Gebrauch von Gendersternchen und Worthülsen Drittmittel und Credibility abhängen. Künstler reden fast nie so über ihre Arbeit. Sie können damit meist auch nichts anfangen.
Womit sie was anfangen können: Lob. „Great show!“, „starke Arbeit“, „beeindruckend“ oder auch, wenn Amerikaner anwesend sind: „amazing piece“. Einfach zu loben, ohne ins Detail zu gehen, das ist relativ einfach in der Kunst, weil man Lob so leicht zurückgeben kann und dann alle miteinander happy sind. Ein Betrieb, eine Familie. Eine Falle.
Rainald Goetz schrieb 2007 in „Abfall“ über das „stricherhaft Abgefuckte des Lobens, Lobnutten, Lobtrottel, Trottelkartelle gegenseitigen Lobens“. Zu der Zeit konnte man ihn oft in Galerien sehen. Also, immer nur loben ist öde. Kritik an Kunst dagegen wird, je näher man dem Glutkern kommt, umso seltener und unhörbarer geäußert. Nicht nur, weil vielen der Mut fehlt, es sich mit anderen vermeintlich Wichtigen zu verscherzen, sondern weil man als Kunstfachmensch immer wieder räumlich zusammenhockt – und es ein simples Gebot der Höflichkeit ist, auf einer Vernissage nicht über die Arbeiten der dort ausstellenden Künstler zu lästern.
Wer das, was er sieht, partout nicht gut findet, redet besser über unverfängliche Themen wie Sommerferienorte, jüngst erschossene amerikanische Rapper oder Superfood. Ein gutes Thema, wenn man informiert wirken will, sind wenig geläufige Referenzgrößen, die artists’ artists oder Künstlerkünstler, deren Spurenelemente man in dem gerade gesehenen Werk wiedererkennen kann.
Weißes Bild mit weißen Streifen: In Yasmina Rezas Drama "Kunst" (hier am Berliner Ensemble) zerbrechen Freundschaften am Gespräch über ein Gemälde Copyright: © Birgit Hupfeld (bearbeitet) |
Wenn einem zum Thema Performance aber immer nur Marina Abramowitsch und zum Thema Malerei immer nur Gerhard Richter einfällt, sollte man auf solche Übungen besser verzichten. Und stattdessen genauer hinsehen. Das Werk, über das man sprechen möchte, weil es einen beschäftigt, dieses Werk wird von den eigenen Worten und eigenem Wissen dann nicht zugewuchert, sondern freigelegt. Alles, was den plastischen Eindruck beim Zuhörer befördert, ist gut.
Man muss als Zuhörer nichts von der „Arbitrarität einer Lokalität“ oder „parakuratorischen Logiken“ wissen wie ein Leser von Texten zur Kunst, sondern das Gefühl haben, das Werk hier und jetzt vor sich zu sehen. Das wird aber nur funktionieren, wenn man sich bei der Schilderung seiner eigenen Worte und Bilder bedient. Man muss den eigenen Beobachtungen trauen und ihnen Zeit geben, sich zu ordnen. Das gilt gerade für die neue und neueste Kunst, die noch nicht im Setzkasten der Geschichte gelandet ist, sondern nach allen Seiten hin lebendig wuchert.
Ein Dschungelstück in Südamerika, abgescannt und in eine Animation übersetzt, durch die man sich nun mit einer superneuartigen 3-D-Brille bewegen kann, fliegend und schwebend durch die Kronen und das Gehölz. Was macht das mit mir? Da kann ein Naturfilm oder ein Videospiel besser zum Vergleich dienen als körnige Videokunst von 1972. Für den Anfang jedenfalls.
Wenn man sich nun gemeinsam darüber unterhält, was an dieser Kunsterfahrung anders war als an einem Videospiel, ob man sich freier oder unfreier oder ruhiger, befreit oder melancholisch gefühlt hat, dann ist man schon dabei, über die Wirkung und das Wesen dieser Arbeit nachzudenken. Und darüber kann man doch reden.
Das Anstiften zum Gespräch ist eine Wirkung, die Kunst übrigens nur auf Menschen hat. Wir sind die einzige Zielgruppe, das muss man sich immer wieder vor Augen führen, die Kunst ist für uns da, so wie wir für sie da waren, damals, als wir sie vor 40.000 Jahren auf die Welt gebracht haben.
Jedes Wort, das wir an sie richten, wird sie gnädig akzeptieren, wie schon so viele andere Wörter in anderen Sprachen, zu anderen Zeiten. Es gibt keinen Grund, Angst davor zu haben, über und mit Kunst zu sprechen. Kunst gehört zur Familie. Deshalb geht es beim Reden um Kunst auch niemals ums Rechthaben oder ums Beeindrucken. Es geht zu fünfzig Prozent um die Kunst und zu fünfzig Prozent um das Reden an sich. Was wiederum erklären könnte, warum so viele Kunstfreunde Rheinländer sind.
DIE WELT © Axel Springer SE. Alle Rechte vorbehalten
schauen, "witterung" aufnehmen, abschmecken - innere bilder dazu abrufen - und reden, wie einem der schnabel gewachsen ist: alles was einem dazu in diesem moment in den kopf kommt ...: das ist für mich meine kurzanleitung, um über "kunst" zu reden ...
das kann auch nie "falsch" sein - wenn man sich selbst gegenüber dazu ehrlich ist ... - und nicht nach zustimmung heischt, nach anerkennung: "poooaaahhh eeeei, was hat der drauf" ...
das kunsthistorische fachchinesisch soll eben auch dort angesiedelt sein: und die kunsthistoriker und die kritik dürfen sich auch über die korrekte einordnung und beschreibung gern streiten und aufsätze erwidern und kritiken absetzen und sich um die ohren knallen - das ist mir egal ... - es ergänzt bestenfalls meine sichtweise - aber es sollte sie nicht beeinflussen ...
und hier hört für mich dann doch "kunst" auf - dafür gehe ich in den €uro-shop und nehme es als mitbringsel mit, wenn ich jemanden zum lachen bringen möchte:
und hier hört für mich dann doch "kunst" auf - dafür gehe ich in den €uro-shop und nehme es als mitbringsel mit, wenn ich jemanden zum lachen bringen möchte:
Preis: US $82.19 - 190.63 / Stück ( EUR € 72.13 ~ 167.30 / Stück ) https://de.dhgate.com/product/jeff-koons-039-balloon-dog-american-popart/390366579.html
und eine binsenwahrheit ist noch ganz wichtig: "neutralität" gibt es nicht - man kann sich immer nur bestenfalls um "allparteilichkeit" bemühen ... - S!