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"Dein Land. Deine Zukunft"– ich dachte immer, mein Land, das wäre Deutschland?




Wer dieses Plakat lesen kann, 
gehört NICHT zu Deutschland – 


Plakate der Bundesregierung fordern Menschen in verschiedenen Sprachen zur Rückkehr in ihr Heimatland auf. Aber an wen wendet sich das? Gelesen werden sie von Menschen mit Migrationshintergrund.

Von Olga Grjasnowa

Sie beherrschen Russisch? Arabisch? Farsi? Weg mit Ihnen. Es scheint ja eigentlich kaum möglich, einer Gesellschaft, in der 23,6 Prozent der Bevölkerung eine Migrationsgeschichte haben, zu demonstrieren, dass eben diese 23,6 Prozent nicht dazugehören und es auch in näherer Zukunft nicht werden. Heimat ist anscheinend nicht für jeden. Dem Innenministerium, das sich neumodisch nun Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) nennt, geht es bei seiner Tätigkeit leider nur um einen spezifischen Aspekt seiner Daseinsberechtigung (die Heimat) und nicht etwa um die Schaffung bezahlbaren Wohnraums in Neukölln und ganz Deutschland, was nun ja wirklich mal ein Problem wäre, um nicht zu sagen, eine Kernkompetenz des Ministeriums.

Jeden Morgen betrachte ich zusammen mit meinen Kindern diese Plakate, meine Tochter kann bereits die ersten Buchstaben erkennen, auf Deutsch, Kyrillisch und Arabisch, und zum ersten Mal wünsche ich mir, dass meine Tochter sich mit dem Lesenlernen noch ein wenig Zeit lässt. Vielleicht kenne ich ja bis dahin die Antwort auf die Frage, wie man unter so einem Innen- und Heimatministerium Kinder in diesem Land großziehen soll. Und dabei heißt es doch so schön auf diesen Plakaten: „Dein Land! Deine Zukunft!“ – ein schöner Slogan, eigentlich. Meine Tochter ist erst drei, es ist ihr Land und ihre Zukunft. Es ist auch mein Land. Eigentlich.

Vorgeschmack auf Pogromstimmung

Horst Seehofer ist wahrscheinlich der am wenigsten geeignete Amtsinhaber dieser Legislaturperiode, wer sonst schafft es, 200 Kulturschaffende unter dem Slogan „Seehofer muss gehen“ zu vereinigen und sie sogar dazu zu bringen, einen offenen Brief zu unterzeichnen? Seehofer bezeichnete die Migration als die Mutter aller Probleme, viel richtiger wäre es, sie als unser aller Mutter zu bezeichnen, aber nun, die Evolutionstheorie geht einigen bekanntlich zu weit. Mit einer simplen Aussage, die verletzte, herabwürdigte und erniedrigte wie keine andere, hat der Minister des Innern, für Bau und Heimat 18,6 Millionen Menschen in Deutschland diskreditiert.

Seehofer ließ es sich nicht nehmen, an Georg Maaßen festzuhalten und den Menschen in Deutschland schon mal einen Vorgeschmack darauf zu geben, welches Verhalten von ihm zu erwarten wäre, wenn es hier tatsächlich zu Pogromen kommen würde. Seehofer witzelte über 69 abgeschobene Menschen an seinem 69. Geburtstag, als gelte der Artikel eins des Grundgesetzes nicht. Seehofers Heimat ist ein Vorbote des Faschismus.

Auf der auf dem Plakat beworbenen Homepage gibt es übrigens eine Liste der Länder, in die man wieder zurückkehren könne. Unter diesen findet sich auch Israel, wobei beim näheren Betrachten lediglich die Optionen offenstehen, nach Gaza oder ins Westjordanland zurückzukehren. Es ist bemerkenswert, dass Gaza und das Westjordanland im Innenministerium zu Israel gezählt werden, während das Auswärtige Amt von „palästinensischen Gebieten“ spricht. Allerdings warnt auch das Innenministerium davor, in diesen Zeiten nach Gaza zurückzukehren.

Es gibt in Deutschland eine sehr bedenkliche Tradition der Aufforderung zur Rückkehr nach Israel – so gab es bereits in den 1890er-Jahren Aufkleber, die vom Besitzer des Frankfurter Hotels „Kölner Hof“, einem der ersten „judenfreien“ Hotels in Deutschland, herausgegeben wurden. Sie imitierten Bahnkarten, auf denen stand: „Freikarte nach Jerusalem, gültig ab jeder deutschen Station, nicht übertragbar, hin und nicht wieder zurück.“ Das „nicht“ war fett gedruckt. 50 Jahren später wurden die Juden in die Gaskammern geschickt.

Reizendes Angebot

Möglich ist es auch, sich über eine Rückkehr nach Dänemark oder Frankreich zu informieren, nur scheint diese nicht umsetzbar zu sein, denn „EU-Staatsangehörige können im Rahmen der Rückkehrerförderungsprogramme keine Unterstützung erhalten“, so das Innenministerium. Es gibt jedoch noch einen Hoffnungsschimmer: „Davon ausgeschlossen sind Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Ihnen wird neben den Reisekosten auch eine finanzielle Unterstützung für die Reise gewährt.“ Ist das nicht reizend?

Ich schrieb den Pressedienst des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat an, und ich muss sagen, dass sie äußerst zuvorkommend antworteten, und das sogar am Wochenende: Ich fragte: „Nehmen Sie es bewusst in Kauf, dass Sie alle Menschen mit einem sog. Migrationshintergrund, die in der Lage sind, diese Plakate zu lesen, irritieren und ihnen eindrucksvoll vor Augen führen, dass sie nicht zur deutschen Gesellschaft dazugehören? Wie lautet Ihre Definition von Heimat und für welche Menschen ist Deutschland Heimat – vor allem im Hinblick auf diese Aktion?“

Der Pressedienst schrieb unter anderem: „Die Kampagne richtet sich an alle ausreisepflichtigen Personen. Die Aktion soll über aktuelle Möglichkeiten der freiwilligen Rückkehr und Reintegration informieren. Die Kampagne richtet sich nicht an Menschen, die rechtmäßig in Deutschland leben. Ihr rechtmäßiger Aufenthalt wird nicht in Frage gestellt.“

Das stimmt nur bedingt, natürlich stellt die Kampagne nicht den „rechtmäßigen Aufenthalt“ in Frage, zumindest noch nicht, aber es lässt sich nicht unbedingt von den Plakaten ablesen, an wen sie sich eigentlich wendet. „Dein Land! Deine Zukunft!“ – wie gerne würden wir alle daran glauben und wie naiv ist es eigentlich, auf den Gedanken zu kommen, dass sich hinter dem Slogan „Dein Land!“ – Deutschland verbergen könnte? Ich war naiv genug.

Heimat?

Weiter wird in derselben E-Mail ein Interview von Markus Kerber, veröffentlicht in der „taz“ zitiert, es soll der Erläuterung des Heimatbegriffes des Ministeriums dienen:

Markus Kerber, beamteter Staatssekretär im BMI, hat sich im Sommer in der „taz“ zum Thema Heimat folgendermaßen geäußert.

„taz: Herr Kerber, Sie sind Staatssekretär im Bundesinnenministerium und hier zuständig für Heimat, also für gesellschaftlichen Zusammenhalt und gleichwertige Lebensverhältnisse. Man könnte auch sagen, Sie sind Horst Seehofers Heimatstaatssekretär. Was ist Ihr Heimatbegriff?

Markus Kerber: Heimat ist überall dort, wo ich dazugehören darf und will. Für mich persönlich sind es fünf Orte, an denen ich dieses Gefühl hatte: Ulm, Stuttgart, Los Angeles, London und Berlin. Und das gilt auch für die aktuelle Debatte in Deutschland und generell in der globalisierten Welt: Wo wollen Menschen dazugehören – und wo dürfen sie es auch? Das sind nach meinem Dafürhalten die Leitplanken einer überfälligen Integrationsdiskussion.“

Leider scheint es dem Innenministerium jetzt darum zu gehen, den Menschen dieses Gefühl des Dazugehörenwollens zu nehmen, es ihnen unmöglich zu machen, sich in Deutschland wohlzufühlen, ja Deutschland möglicherweise sogar eines Tages als ihre Heimat anzusehen. Diese Kampagne zeigt deutlich, dass es in Deutschland 2018 noch nicht mal mehr um die Integration geht, sondern nur noch um eines: Ausländer raus! Egal um welchen Preis.

Dass dieser sehr hoch ausfallen kann, sah man bereits 1983. In diesem Jahr wurde das Rückkehrhilfegesetz (RückHG) erlassen. Damals wurde den türkischen Migranten, die in die Türkei ausreisten, eine Prämie gezahlt. Der „Spiegel“ veröffentlichte einen Artikel mit dem sarkastischen Titel „Nimm deine Prämie und hau ab“, ein Zitat des ehemaligen Innenministers Gerhart Baum (FDP): „Wir betonen die Freiwilligkeit des Angebots, aber in Wahrheit steckt dahinter die Aufforderung: Nimm doch deine Prämie und hau endlich ab.“


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Die Kampagne erzeugt Unmut: mit Farbbeuteln beworfenes Plakat am Hermannplatz in Berlin-Neukölln
Fotos: Marlene Gawrisch / WELT


Farbbeutel

Die Anschläge und die Übergriffe ließen nicht lange auf sich warten. Menschen wurden auf der Straße überfallen, es gab Angriffe auf türkische Imbisse, Wohnhäuser wurden angezündet – und das im Westen der Republik.

Theresa May, die heute vor allem durch ihr Brexit-Ungeschick auffällt, setzte 2013 in Großbritannien auf die „Operation Vaken“ – Minilastwagen, auf denen diese Sätze standen: „In the UK illegally? Go home or face arrest“ (Illegal in Großbritannien? Geh nach Hause oder du wirst verhaftet). Man könnte das „du“ eventuell auch durch ein „Sie“ ersetzen. „Vaken“ ist kein englisches Wort, sondern ein schwedisches, das sich als „erwache“ übersetzen lässt und von vielen, unter anderem vom „Guardian“, als ein Verweis auf das berüchtigte SA-Sturmlied mit dem Slogan „Deutschland erwache“ gelesen wurde. Zu Erinnerung heißt es auch hier: „Gib fremden Juden in deinem Reich nicht Raum!“

In Neukölln schaut man sich die Plakate indessen sehr genau an. Die meisten wurden mittlerweile mit Farbbeuteln beworfen, andere mit anderen Slogans übermalt und manche korrigiert – jetzt wird für den Rücktritt einiger Politiker ebenfalls eine Prämie geboten. Es ist unwahrscheinlich, dass sie diese annehmen werden.

Olga Grjasnowa ist Schriftstellerin.
Ihr letzter Roman "Gott ist nicht schüchtern", erschien im Aufbau Verlag


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freddy hat das ja schon in den 50er jahren gesungen bzw. geschluchzt als zumeist flüchtlinge und migranten wie du und ich einzug in fast jedes neubaugebiet auf den weggeräumten trümmern der neuen bundesrepublik hielten: "heimatlos - sind viele auf der welt ....": und wenn man nun glaubt auch in deutschland 60-/70 jahre später endlich seine heimat gefunden zu haben, schickt einen ausgerechnet der minister des "innern, für bau und heimat" wieder vor die tür: da hat der maurer ein loch gelassen ...

da rühmen wir uns - außer herr merz scheinbar - unseres hervorragenden grundgesetzes und des darin verankerten asylrechts - und da gibt es eben noch menschen, die glauben daran, was dort geschrieben steht - und dann steht da plötzlich auf kyrillisch: "hau ab! - zieh deiner wege" - und das brüllt nicht etwa pegida oder die afd - nee das plakatiert mit steuergeldern ein bundesministerium ...

also - mir verschlägt's da jede sprache - und ich schäme mich...





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