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S!|art-graphicAls "Monologe aus dem Dazwischen" abgedruckt in der WELT -DIE LITERARISCHE WELT- Samstag, 21.07.2018, S. 29 - DIE WELT © Axel Springer SE. Alle Rechte vorbehalten |
Als ich hinten bei den Umkleiden war
Ich entschied mich, nichts zu erzählen. Weil ich nicht im Büro des Bademeisterarschlochs stehen wollte, neben dem Pommesmann, der sich den ganzen Tag im Bad rumtrieb. Eine MeToo-Geschichte.
Von Nora Gomringer
Ist einfach ein Arschloch. Ein fettes Arschloch.
Sein Sohn genauso.
Und ausgerechnet heute hab ich das große Handtuch nicht dabei.
Nicht auszudenken.
Der
Der hat
Der hat mich
Da
Wo genau?
Arschloch. Das geht nicht.
Kann mich nicht unter diese Augen stellen, neben die Wampe.
Der Mann
Also der Typ, der immer bei den Pommes steht
Aaah
Der Mann hat
Als ich hinten bei den Umkleiden war
Was genau?
Sags dem Bademeister. Mach schon! Für Nadja, die ist vierzehn, ist so was einfach.
Sieht aus wie ne Frau, bewegt sich so. Ich bin gar nichts. Bin son Mädchending.
Ich
Ich stand
Ich stand da hinten und wollte mich umziehen, da
Kam der Typ von den Pommes, stellte sich ultradicht vor mich
Ich ging ihm bis zur Mitte seiner Knopfleiste am Hemd
Ich sah, dass einer so komisch angeknackst war, wien schiefer kleiner Zahn
Musst ich dran denken, als er meine Badeanzugträger an sich gezogen hat
Schnalzte so dran, blickte mir von oben in meine Badeanzughaut, sah auf meine Haut
Stand wie verdattert
Stand wie dumm
Die Laute stand wie eine ohne Sprache
Der zog viermal an meinem Badeanzugoberteil und sah mir auf die Haut
Wenn ich das tat, sah ich keine Brüste
Was er sah, weiß ich nicht
Und dann?
Dann löste sich alles auf. Ich entschied mich, nichts zu erzählen. Weil ich nicht im kleinen Büro des Bademeisterarschlochs stehen wollte, neben dem Pommesmann, der sich den ganzen Tag im Bad rumtrieb.
Ich zog Konsequenzen.
Die Postulate:
Nie mehr allein!
Immer mindestens zu zweit!
Nie in der hintersten Umkleide umziehen!
Den Typen nicht ansehen!
Mehr essen, fetter werden!
Fetter wird man nicht gekidnappt, wird man nicht angefasst, wird man nicht befragt, wo genau einen der Typ – ja, was eigentlich?
Allein die Handlung zu beschreiben ist so peinlich.
Ich muss vor erwachsenen Menschen erzählen, was für bescheuerten Scheiß der Typ gemacht hat, der selbst ein erwachsener Mensch ist. Dafür hass ich den.
Dass er sich gezielt von mir degradieren lässt.
Ich fand meinen Badeanzug scheiße. Ich fand meine Haare scheiße.
Meinen Eltern erzählen, was der Pommestyp mir getan hat. Dass er mich erniedrigt hat.
Meine Eltern erniedrigen mich ständig. Ich muss essen, was sie wollen, tun, was sie wollen, mich benehmen, wie sie wollen. Nur dass meine Eltern mir so nicht auf die Brüste, die Hüfte, den Hals, die Schenkel sehen. Meine Mutter sieht immer n bisschen kritisch hin. Weniger Speck wäre gut.
Mein Vater sieht mir ins Gesicht, findet es manchmal gut, manchmal zu laut.
Der Pommestyp ist anders.
Der sieht und spielt mit etwas von mir, was noch nicht geschlüpft ist, noch wachsen muss, noch verborgen bleiben möchte.
Der zupft mich mit der Nadel aus dem Ei. Der trinkt mich aus, wien Spitzzahnfuchs ein Ei.
Dem bin ich Genuss. Dem ist meine Angst und mein Noch-nicht-aber-bald: Lust.
Das überfordert mich.
Das ist nicht zu erzählen. Schon gar nicht dem Arschloch.
Dessen Sohn auch son Typ wird, wetten?
Ich sag nichts. Ich bereus auch nicht. Ich schreibs hier, weil ich gefragt wurde von soner Frau mit verwundeten Augen und soner Wut, dass ihre Sätze in der Luft steheblieben: Hat man dir auch? Bist du auch? Was hat dich? Wer?
Die 7-Jährigen wissen alles und wissen nichts. Ich wusste, dass Arschlöcher einen genauso schlimm wie und schlimmer kriegen als Pommestypen.
Hat die Frau Autorin aber abgenommen. Sieht gut aus. Die Frau, geschlüpft aus der Nussschale. Ist ne andere Weichheit an ihr, um sie herum. Die Frau ist richtig schön. Da fass ich mal hin, mal sehen, wie sie reagiert. So am Arm und bei der Begrüßung an die Hüfte. Ah, macht sie gar nichts. Geht doch. Wange an Wange. Ist wien Spiel. Ich spiel das gerne. Ich passe jetzt in die Sachen rein. So richtig. Sie stehen mir, und in ihnen stell ich mich anders in die Welt. Ich bin hochgradig autoerotisiert. Passt. Sind alle derzeit. Geile Schuhe, geile Beine, geile Haare. Find ich nichts falsch dran. Mach ich jetzt mit. Bin älter als die meisten, steh aber in der Dorfdisko nicht am Rand. Steh mitten im Licht und tanze. Leute, ich tanze. Und der. Der kapiert das unglaubliche Geschöpf, das ich gar nicht bin. Der ist ein Augenmann. Besteht zu 99 Prozent aus Augen. Die Augen sehen nicht, was es bedeutet, dieses Outfit zu planen und zusammenzustellen. Die Augen sehen nur das Outfit. Ich sehe nur den schrecklichen Hemdkragen an dem Mann und die nicht gezupften Haare an der Nasenwurzel und die Zähne vorne unten. Ja, die Autorin war ein braves Mädchen. Hat so fein gelesen, das Haus gefüllt. Ein feines Weibchen. Hat gegurrt und gesummt, und da kamen die Kater und Katzen. Sehr fein. Hat sich ein bisschen erhoben bei der Lesung, wurde ein bisschen Lichtgestalt. Aber nur ein bisschen, das krieg ich gelöscht. Solche Feuer krieg ich mit Hand aufs Knie und Na, gefällt Ihnen Ihr Hotelzimmer? ganz gut aus. Hätt ich nen Vertrag, würd drinstehen: Ich danke Ihnen für Ihre Anfrage und dass ich für Ihr Publikum lesen darf! Gerne komme ich vorbei und tue mein Bestes, meine Arbeit, mich und Ihre Vorstellung von mir auszufüllen. Nach der Lesung erbitte ich ein Taxi zum Hotel und dort noch die Möglichkeit, eine warme Mahlzeit einnehmen zu können. Alleine. Danke. Dann roll ich mir die Halterlosen runter und schlafe selig ein.
Ich spiel so gern. Ich spiele so gerne das Hallo-wie-gehts-Spiel.
Dann schreibt immer einer: „Auf was stehst du?“ Und dann wirds so öde.
Der von mir begehrteste Mann schrieb mir: Du warst die Erste, bei der ich nicht copy und paste drückte. Und es war das schönste Tinderkompliment. So wenig schon so geil. Ist genau mein Spiel. Wenig Einsatz, hoher Gewinn. Oft werd ich gefragt, ob ich Jüdin sei, als ob es was ausmachte. Selbst wenn ich Ja sagte, wüsste ich nicht, was es zwischen meinen Beinen änderte. Zwischen meinen Brauen wüsst ichs wohl. Die zeig ich alle an und block sie alle tot.
Ja. Ich sag jetzt nur noch Ja. Ja, wenn der Junge meiner Tochter zwischen die Beine fasst. Ja, wenn er sie an den Haaren zieht, Ja, wenn er ihr was von seinem Snickers abgibt, wenn er sie seltsam langsam streichelt an ihrem zarten Arm und ich alles beobachte am Rand des Spielplatzes. Ja, weil sie eben nicht mehr fünf sind, sondern fünfzehn. In so einem immensen Ja steckt meine ganze Lebenszeit drin. So ein Ja mag blind machen, über einen Kamm scheren. Meine Tochter lächelt noch immer, bis sie weint, und weint immer, bis sie lächelt. Ich sage nur noch Ja, weil das Nein den Jungen seiner Mutter als Monster vorführte. Und das will man nicht. Mutter eines Monsters sein. Das zwingt einen selbst ja, genetisch zu mutieren. Muss sie dann auch ein Monster werden. Nein, das will keiner. Also sage ich Ja, rauche eine am Rand und geh mit dem Hund weiter und bete am Abend, dass er einfach einen schlimmen Schnupfen kriegt und stirbt. Weil ich nicht glaube, dass jemand den Jungen reparieren kann für die Welt, für mein Mädchen.
Mich ständig für meinen Penis rechtfertigen zu müssen kränkt mich irgendwie. Ich belästige niemanden mit ihm. Das ist in der Regel auch mein Problem. Also zu wenig vom Guten: zu wenig Sex. Die, die ihn in der Hose behalten, kriegens am ärgsten ab, weil sie nichts gemacht haben und trotzdem mit den ganzen Triebtätern in einem Topf rumgerührt werden. Das kränkt mich. Ich halte Türen auf, weil es nicht höflich ist, sie nicht aufzuhalten.Ich starre nicht auf Dekolletés und Hintern in Jeans, nicht mal auf Nacken und Haaransätze, obwohl ich die wirklich mag und die ja noch fast unverfänglich sind. Ich will kein mieses Gefühl zu meinem Körper entwickeln müssen. Unsere Mutter hat uns früh erklärt, dass der Körper ein Wunder ist und jeder in einem Wunder herumläuft und man mehr vom Wunder des anderen abbekommt, wenn man aufrichtig ist, alles auf Relevanz und Eleganz prüft. Sie war Tanztherapeutin.
Ich hab mich oft in Grund und Boden geschämt für sie. Sie hat mich zweimal beim Masturbieren erwischt, nichts gesagt, die Tür geschlossen, sich einmal später bei mir entschuldigt. Es war mir peinlich, wie peinlich mir das war. Heute vermiss ich sie oft. Ich mag meinen Schwanz. Ich mag es, ihn so zu nennen. Er gehört zu mir, seine Form ist ganz gut. Könnte größer sein, aber das erschreckt Frauen dann auch wieder. Wenn mich eine Frau fragt, was ich mag, also im Bett, sage ich: deine Lust. In Indianergeschichten hab ich von Göttern gelesen, die ihre Penisse abtrennen können im Wasser. Der Penis schwimmt zu den badenden Mädchen in der Flussbiegung und penetriert sie. Aber ich hab eine Sendung gesehen über Sex. Eine Therapeutin hat die Schamlippen, die ganze Vulva, alles erklärt, war seltsam anturnend, abschreckend. So viel, was ich nicht wusste und weiß. Woher auch. Lauter Missverständnisse und Unwissen voneinander. Sie hat auch darüber gesprochen, wie es ist, abzublitzen. Sie hat gesagt: Sie haben ein Angebot gemacht. Das Angebot lag auf dem Tisch. Der andere Mensch hat es abgelehnt und ist weitergezogen. Das heißt nicht, dass Ihr Angebot schlecht ist. Grausam ist an meinem Schwanz, dass er ein Angebot für Sex niemals ablehnen würde. Obwohl. Manchmal bin ich krank. Oder fühle ich mich nicht „in mir“, aber das ist selten.
An der Bar. Da esse ich nur die Nüsse und trinke Coke Zero. Da kann der mir noch so viele Gläser hinstellen lassen. Ich lächle, wenn ich von Guy Delisle hochblicke und kurz nicht in Birma und seinen Zeichnungen bin. „Hallo“, lächle ich. „I wanna fuck you“, lächelt er. Das kann ich mir gefallen lassen. Muss nicht, aber kann ich. Das halt ich aus. An diesem Ort von dem. Der Barkeeper ist nett. Der lächelt: „cooles Buch.“
Alles nicht soooo unschuldig hier. Ich bin schließlich die Einzige von uns mit ner Vagina. Und für die
trägt frau Verantwortung. Dunkles Dickicht. Die Frau ist im Geheimen immer eine Art dunkler Kontinent. Insgeheim wissen die meisten Männer, dass Frauen schneller und klüger sind, wenn man sie lässt. Die Netten ängstigt und bedroht das nicht. Die lieben Frauen dafür. Frauen sind schnell gelangweilt. Maulwurfweibchen werden verkorkt, Mädchen erstochen. An der Bar sitz ich und hab den Kopf n bisschen schräg, so wie ne Frau, die im Ganzen jünger ist als ich. „Wanna fuck now?“, lächelt er. Ich denke mir, wenn er nur wüsste, wie wenig ich ihn in Betracht ziehe.
Spürt er wahrscheinlich. Mein Gott, wie mich das frustrieren würde, wenn man so viel Falsches gelernt hätte als Männchen über das Weibchen. Ich erkläre in meinem Lächeln: „Lass es. Ich bin eine hart arbeitende Frau. Ich lese hier mein Buch. Bin vielleicht eine Bitch, das kann sein. Das nehm ich in Kauf. Aber eine Bitch, nur weil ich nicht gleich auf dich reagiere wie eine Mutter auf ein schreiendes Kind, das find ich schwach.“ Der Barkeeper ist nice. Ich gehe jetzt und überlege, wie ich das mache … ihm signalisieren, dass ich es nett fände, würde er nachher klopfen bei mir. So eine ist sie. Eine herrliche Frau.
Jedoch das Allerschlimmste,
Das haben sie nicht gewusst;
Das Schlimmste und das Dümmste,
Das trug ich geheim in der Brust.
Heinrich Heine
Nora Gomringers Text erscheint am 23. Juli in dem Sammelband Sagte sie. 17 Erzählungen über Sex und Macht. Hg. von Lina Muzur. Hanser Berlin, 224 S., 20 €.
Als "Monologe aus dem Dazwischen" abgedruckt in der WELT, DIE LITERARISCHE WELT, Samstag, 21.07.2018, S. 29 - DIE WELT © Axel Springer SE. Alle Rechte vorbehalten
ich liebe ja diese echtzeit-protokolle diverser kopfkino-szenen. nora gomringer ist es meiner ansicht nach gelungen, ein heikles thema frank und frei aus verschiedenen blickwinkeln hart aber fair auszuleuchten - und auch ein augenzwinkern in diese an sich ja vom duktus her gar nicht so verhärtete "angelegenheit" zu bringen.
ich finde auch nicht, dass hier etwas verharmlost oder - im gegenteil - hochgepusht wird: es ist für mich ein beitrag, auch den alltäglichen alltag mal mit einer badedecke über die gegenseitigen verdächtigungen und anfeindungen und entzweiungen zu legen und damit ein paar auswüchse hinüber und hernüber abzudecken. jedes ding hat nämlich mindestens zwei seiten - und diese #metoo-debatte ist echt son ding ...ich weiß da nie - ob ich ⚤ auch lachen darf oder meine augen niederschlagen muss - ob ich all das gedöns dazu ernst nehmen soll ... es ist eben ein das lebenlang uns begleitendes ding - und wie man(n)s macht ists falsch - es kann der frömmste nicht in frieden leben - wenns der bösen nachbarin halt nicht gefällt... S!>> click auch hier